Sun 29 Jan 2006
Bis heute rätselt man eigentlich darüber, wieso er eine Zeit lang blau gemalt hat. Soweit ich weiß, hat er sich selber darüber nicht geäußert.
Anfang der dreißiger Jahre wurde eine große Picasso-Ausstellung in Zürich gezeigt. Der Psychotherapeut » Carl Gustav Jung hat sich darüber in einem zweiteiligen Artikel in der Neuen Züricher Zeitung verbreitet.
Für ihn war die Sache klar: Die blaue Farbe war ein Zeichen für die “Nachtmeerfahrt” des Malers, für den Abstieg in die Unterwelt. Die rosa Farbe signalisierte nach dieser Lesart seine Wiederkehr.
Toll, was diese Psychologen so rausfinden! Eine Zeit lang habe ich geglaubt, daß man sich Kunst mit solchen Ansätzen nähern kann. Inzwischen bin ich sehr skeptisch. Hat C. G. Jung überhaupt etwas von Kunst verstanden? Er hat ja selbst gemalt, aber eigentlich sind seine Bilder ausschließlich Illustrationen zu Träumen. In diesem Sinne wird die Malerei als Methode in der » Analytischen Psychologie nach Jung eingesetzt. Die Klienten sollen ihre Träume malen.
Nun muß man natürlich erst einmal bildhaft träumen, aber das ist für die Jung-Klienten kein Problem. Selbst wenn sie vorher nicht bildhaft geträumt haben, mit Beginn der Therapie geht es los. Inzwischen gibt es eine sehr umfangreiche Literatur mit entsprechendem Bildmaterial. Merkwürdigerweise gleicht alles ziemlich der Malweise des Begründers dieser Schule, ähnlich wie in der » Anthroposophie. Auf jeden Fall ist keines dieser Werke als Kunst zu bezeichnen.
Als ich mich mit diesen Sachen beschäftigt habe, ging es eines Tages ebenfalls los: Ich hatte Träume, die ganz anders waren als jeder Traum, den ich jemals hatte. Das blieb aber Episode. Zweimal träumte ich eine Serie, einmal neun Einzelträume, einmal drei, im Abstand von etwa einer Woche, wenn ich mich recht erinnere. Das war es dann. Diese Träume waren nicht unbedeutend, sie waren definitiv jungianisch, sie hatten auch mit Malerei zu tun. Aber das ist ein anderes Thema. In einem dieser Träume kam eine der Gestalten, die ich gerne malen würde, auf mich zu und riet mir: “Wir würden ja gerne zu dir kommen, aber leg doch das Mikrofon weg!” Ich verstand: Die Kamera war gemeint.
Merkwürdig ist, daß ich in dieser Zeit eine Reihe von Bildern gemalt habe, die man als “blau” bezeichnen könnte. Da ich alle Bilder datiert habe, kann man die Chronologie sogar rekonstruieren. In der Erinnerung hatte ich einiges falsch bewertet, insofern war diese Information für mich sehr wertvoll, als ich mir nach vielen Jahren anhand der Datierungen eine Übersicht verschaffen wollte.
Wenn man will, kann man aus dieser Episode ebenfalls eine Nachtmeerfahrt konstruieren, ein Abstieg in die Unterwelt nach dem Muster des » Orpheus als Bestandteil der Heldenreise, als die Jung das Leben begreifen wollte, auch » Individuation genannt: “Werde, der du bist!” Womit wir wieder bei der Frage sind: › Wer bin ich?
Meine Ausführungen gestern habe ich damit beschlossen, daß man sich Träume meistens nicht ausdenken könnte, so phantastisch sind sie. Und genauso geht es mir natürlich mit meinen Bildern: Ich könnte sie mir nicht ausdenken. Deshalb die Frage: › Wer malt? Wenn der Maler sich die Bilder ausdenkt, merkt man das meistens ziemlich deutlich, und dann beschleicht einen ein ungutes Gefühl. Das macht das Spätwerk » Salvador Dalís und das vieler Epigonen so peinlich. Es ist dann eben Illustration und nicht mehr.
Was ist es, das ein Bild zur Kunst macht? Was ist die Kunst? Was macht große Kunst aus? Große Fragen, auf die man kaum Antworten findet. Jedenfalls war ich als junger Mann vollkommen auf mich gestellt. Die durch die Schule gebotene Bildung Bildung hatte mich auf solche Fragen nicht vorbereitet.
Die Figuren im Bild › 259, dessen Ausschnitt den heutigen Beitrag illustriert, sind rätselhaft genug. Sollte es sich bei der Malerei um die Darstellung der Probleme der eigenen Persönlichkeit handeln, müßten alle handelnden und nicht handelnden Objekte in Bezug zu dieser Person gestellt werden. Damit wäre man ziemlich nah dran am Konzept der » Analytischen Psychologie, die Träume dementsprechend versteht und die Persönlichkeit in eine Fülle von sogenannten » Archetypen aufspaltet, gewöhnlich Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts, die weitgehend unabhängig von dem Geschlecht der träumenden Person sind, aber doch gewisse signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen.
Würde einen das in Bezug auf das Bild weiterbringen? Eine Zeit lang habe ich es gehofft, aber diesen Ansatz nie ernsthaft verfolgt. Zufällig hat sich anläßlich meiner Museumsausstellung ein Dialog ergeben, der dann zur Eröffnungsrede weiterentwickelt worden ist (› Zur Bedeutung des Holzschnitts). Zwar war ich anfänglich sehr angetan, aber schnell habe ich bemerkt, daß die Deutung nur die Oberfläche berührt.
Ich erinnerte mich an die Lehre aus zwei Semestern Kunstgeschichte: Wo die Worte aufhören, fängt die Kunst an.
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