Sun 5 Feb 2006
Links neben dem Kopf, zu dem ich irgendwie “Buddha” assoziierte, ist einer dieser kleineren Köpfe, die ihrerseits wiederum alle etwa dieselbe Größe haben. Dieser ist noch in einer anderen Weise als nur hinsichtlich der Größe anders, nämlich bezüglich der Glaubwürdigkeit oder dem Grad des Realismus.
Bisher haben wir ja gesehen, daß keiner der Köpfe in dem Sinne realistisch ist, daß er dem Augeneindruck lebender Personen entspricht. Der letzte war der am wenigsten verzerrte der drei, aber trotzdem kann er nicht wirklich realistisch genannt werden. Die Augen, das Ohr, der Mund, das Kinn, der Hals, die Schultern sind ziemlich realistisch proportioniert, aber die Stirn und der Schädel sind es nicht.
Trotzdem ist die Figur zur Linken noch anders. Man erkennt sofort, daß es ein Kopf sein soll, sowohl als Profil als auch frontal wiedergegeben, am deutlichsten zu erkennen durch den Mund und die Augen, aber das Gesicht ist an der Stirn geteilt, wodurch man den Eindruck bekommt, daß ein anderes Profil von rechts schaut, was am meisten durch das rechte Auge bestimmt wird.
Außerdem hat dieser Kopf keinen Körper. Statt dessen gibt es zwei Formen, die großen Blättern ähneln. Diese Blätter sind allerdings nicht grün, sondern rötlich. Die Interpretation dieser Formen als Blätter wird durch etwas unterstützt, was man als Stengel bezeichnen könnte. Außerdem entspringen von derselben Stelle, wo die Blätter ansetzen, zwei gelbe Formen, die ihrerseits auf Stielen sitzen und als Blumen angesprochen werden könnten.
Diese Blumen zielen nach unten, nicht nach oben, wie es die Regel ist; die Stelle, wo eine große Blüte wie eine Rose sitzen würde, ist durch diesen merkwürdigen Kopf besetzt. Wenn der Körper dieses Kopfes eine Pflanze ist, dann sollte der Kopf eine Blüte sein.
Da diese Blütenpflanze aus mehreren Teilen zusammengestückelt zu sein scheint, sieht sie etwas gebastelt aus, wie eine künstliche dekorative Nippesfigur, die man vielleicht in Verbindung mit Kostümen benutzt. So könnte sie wie eine Maske eingesetzt werden, wie man das aus dem venezianischen Karneval kennt. Zwar benutzt niemand dieses Spielzeug, niemand hält den Stengel, statt dessen besitzt der Kopf einen lebhaften Ausdruck, der Selbstgenügsamkeit verrät.
Dieser Kopf scheint ebenfalls eher nach innen zu schauen als aktiv an der Umwelt teilzunehmen, aber tatsächlich sind die Dinge hier ein bißchen komplizierter. Das rechte Auge der Person, das linke für den Betrachter, schaut nach innen, während das andere Auge ziemlich intensiv den anderen Teil des Gesicht anschaut. Wenn man beide Augen zugleich fixiert, hat man wieder mehr den Eindruck, daß das Gegenüber gar nicht recht wahrgenommen wird. Dieser Kopf schaut nicht bekümmert, er beobachtet eher und scheint etwas amüsiert, und diese Belustigung scheint aus Wissen gespeist zu sein, Wissen über die beobachteten Vorgänge.
Der rechte Teil wiederum, für sich betrachtet, ist so weiblich wie der linke männlich. Der weibliche Teil scheint ein Kopftuch zu tragen und überraschenderweise einen Schnurrbart, während der männliche Teil glattrasiert ist.
Dieser weibliche Teil ist auf das männliche Gegenüber fixiert und scheint eher besorgt zu sein, aber diese Besorgnis ist nicht Kummer und ergibt einen vollkommen anderen Ausdruck als der, den wir von den drei großen Köpfen kennen. Dieses Gefühl scheint sehr persönlich zu sein, vordergründig, in der Beziehung zum anderen Teil begründet, während die Großen über etwas wesentlich Fundamentaleres besorgt sind.
Die Lesart der roten Blätter als großes Halstuch wäre sehr überzeugend, wobei der Körper dieser Figur dunkelblau wäre und mit dem Hintergrund verschmelzen würde, so daß er nicht leicht zu identifizieren wäre. Aber diese Lesart scheint nicht haltbar zu sein. Das linke der großen roten Blätter ist von roten Pinselstrichen umgeben, die sich mit dieser Interpretation nicht vertragen.
Außerdem scheinen die roten Formen hinter dem linken Blatt etwas zu bezeichnen, was losgelöst ist von dieser Figur, vielleicht Flammen. Außerdem ist die Verbindung von Kopf und Pflanze nicht gut gekennzeichnet. Tatsächlich sieht es aus, als ob dort die nackte Leinwand durchscheinen würde.
Hier wie auf allen anderen Partien, die wir bisher betrachtet haben, sehen wir, daß alles ohne Zögern und Korrekturen hingeschrieben worden ist. Das ist die Art von “dünner Malerei”, die Max Beckmann als Qualitätsmerkmal ansah.
Ich weiß nicht, wie er zu diesem Schluß kam; vielleicht wegen seiner Vorliebe für dicke Farben in seiner Frühzeit, die er später hinter sich ließ, und weil dicke Farben sehr leicht stumpf wirken können; auf der anderen Seite weiß man, daß er seine Sache im Regelfall nicht mit dem ersten Strich richtig machte. Statt dessen arbeitete er wie Henri Matisse und nahm alles immer wieder ab, wenn er es nicht mochte, und übermalte so lange, bis er zufrieden war. Dieser Prozeß zog sich manchmal sehr lange hin, und das sieht man auch am fertigen Bild, weil der jungfräuliche Zustand der Leinwand bei dieser Art der Überarbeitung nicht erhalten bleiben kann.
Hier aber kann man diesen jungfräulichen Zustand, zumindest mit dem nackten Auge vor dem Original, überprüfen, und sich überzeugen, daß es keine Stelle gibt, die in diesem Sinne überarbeitet worden ist.
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