Mon 13 Mar 2006
Schaute die › Rothaarige nach rechts aus dem Bild, so schauen diese beiden eher nach links. Beide blicken am Betrachter vorbei, der Linke deutlich, der Rechte gewissermaßen haarscharf über die Schulter des Betrachters.
Als Typen sind die beiden wieder ganz anders als alles, was wir bisher gesehen haben, und nicht nur die räumliche Nähe läßt sie als Paar erscheinen - sie haben gewisse stilistische Ähnlichkeiten. Beide Köpfe sind extrem schmal und langgezogen, die Schädel fehlen fast ganz, aber trotzdem fällt es schwer, sie etwa als Brüder anzusprechen. Wenn sie denn Brüder wären, so solche, denen man die Verwandtschaft nicht unbedingt ansieht.
Bei Hermann Hesse kommen häufig zwei männliche Figuren vor, die gegensätzliche Charaktere symbolisieren, der Blonde und der Dunkle, der Weichere und der Härtere, der Künstlertypus und der nüchterne, lebenstaugliche Alltagsmensch.
Von einer solchen programmatischen Gegenüberstellung kann hier keine Rede sein, obwohl beide Typen sehr unterschiedlich gekennzeichnet sind. So ist der eine tatsächlich eher dunkelhaarig, der andere scheint einen Blondschopf zu haben, der eine wirkt weicher, der andere härter, der eine vom Typ her eher romanisch oder slawisch, der andere eher germanisch oder nordisch. Aber es handelt sich nicht um Literatur, die Charaktere haben keine Entwicklung, keine Geschichte, und sie sind nicht konstruiert, sie illustrieren nichts.
Solche Typisierungen sind trotzdem fatal, aber selbstverständlich gibt es diese charakteristischen Anmutungen. Wie immer wir das bewerkstelligen - irgendwie erkennen wir schon, ob jemand ein Schwede ist oder ein Brite, von einem Spanier oder Russen ganz zu schweigen.
Innerhalb eines Volkes gibt es eine unerhörte Bandbreite an Typen, und je mehr Individuen man kennt, desto weniger ist man eigentlich in der Lage, den Typus als solchen zu erfassen - man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. So ähnlich funktioniert das wahrscheinlich auch mit den Künstlern. Eine Figur von Beckmann würde man immer als solche erkennen und niemals mit einer von Picasso verwechseln können, um ein deutliches Beispiel zu nennen - aber jede andere Anpaarung wäre ebenso geeignet.
In diesem Sinne sind alle Figuren auf diesem Bild vermutlich typisch für mich, obwohl sie sich, wie wir gesehen haben, untereinander extrem unterscheiden. Natürlich muß man eine gewisse Grundkenntnis besitzen, um einen Schweden als Schweden erkennen zu können. Deshalb würde niemand meine Figuren als mir zugehörig erkennen können, der sich noch gar nicht mit meinem Werk beschäftigt hat. Er würde statt dessen Parallelen zu dem ziehen, was er kennt, und dann behaupten, meine Figuren sähen so aus wie die von Picasso - die häufigste Assoziation, einfach weil die Leute nichts anderes kennen.
Einmal fühlte sich jemand an Victor Brauner erinnert, den ich gar nicht kannte; und auch in den vielen Jahren seither habe ich nur eine Handvoll Gemälde Brauners auf Abbildungen gesehen. Ich finde nicht, daß sein Werk Assoziation zu meinem oder umgekehrt zuläßt, aber das will nichts heißen. Für diese andere Person war es eben anders.
Viele Künstler haben natürlich eine recht schmale Bandbreite, aber wenn man sich vor Augen führt, über welches ungeheuere Spektrum Picasso verfügte, so ist es schon erstaunlich, daß man einen Picasso immer erkennt, wenn es sich nicht gerade um eines dieser unsäglichen kubistischen Experimente handelt, obwohl man auch bei denen langsam einen Blick bekommt - allerdings muß ich mich hier zurückhalten, denn im Grunde kenne ich zu wenige Bilder von Georges Braque, um diese Aussage wirklich fundiert treffen zu können.
Es ist also alles eine Sache der Erfahrung. Ich erkenne meine Bilder natürlich sofort - ich habe sie ja gemalt. In der Übersicht ist es allerdings ebenfalls erstaunlich, welche Bandbreite sich dort manifestiert. Im Laufe der Zeit sollte das hier deutlich werden. Die Einheit in der Vielfalt - ein faszinierendes Thema. Das Typische und Exemplarische im Individuellen, das Zusammenhängende angesichts des Diversifizierten. Zwischen den Gemälden verhält es sich ähnlich. Die Figuren aus dem ein Bild unterscheiden sich signifikant von denen eines anderen und könnten vermutlich nicht ausgetauscht werden.
Auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen - das muß ich einfach gelegentlich einmal ausprobieren. Mit der digitalen Bildbearbeitung dürfte das ja kein großes Problem sein. Würden sich auf diese Weise neue Bilder ergeben oder einfach nur unerträgliche Konstruktionen, die eben gerade das vermissen lassen, was das Gemälde als solches ausmacht, nämlich die Sinnstiftung? Ich vermute es, aber sicher bin ich mir nicht. Erich Engelbrecht hatte mich einmal dazu verleitet, eine Figur aus einem Bild “weiterzuentwickeln”, weil das seiner Methode entsprach. Für mich war das einfach Murks.
Denn alle diese Figuren sollten ja nicht zufällig auf diesem Bild auftauchen, ihre Stellung, ihr Ausdruck ist präzise und eindeutig und sollte seine Funktion haben, was immer sie sein möge. Auch diese Vermutung ließe sich experimentell überprüfen, indem man etwa die Figuren innerhalb eines Bildes vertauschte oder ihre Stellung zueinander veränderte.
Die Überraschung war tatsächlich vollkommen, aber anders als gedacht. Bei der rechten Figur wollte sich so etwas überhaupt nicht einstellen; trotz der Nasenlinie, die eine Profilansicht gestatten würde, wollte sich nichts anderes als eine Frontalsicht durchsetzen.
Bei der linken Figur ergibt sich die Profilsicht nur im oberen rechten Viertel. Das Auge und die Nase schauen deutlich nach links, aber schon der Mund will sich dazu nicht fügen, und auch das Kinn liefert keinerlei Hinweise auf eine Profilstellung, im Gegenteil: das Kinn verleitet zur Frontalansicht und produziert dadurch einen Widerspruch zum Profil oben. Das ist interessant, denn formal sind diese Figuren ja ganz ähnlich gemalt wie die anderen.
Wodurch ergibt sich eigentlich das Gefühl der Zusammengehörigkeit dieser beiden Personen? Möglicherweise durch die Neigung der beiden Köpfe zueinander, durch die Stellung der Ohren, die jeweils aufeinander verweisen bzw. auf den anderen Kopf, vielleicht auch durch die Parallelität der schlanken Silhouetten. Sie scheinen dicht hintereinander zu stehen, der Linke etwas weiter vorn, und zwar so, daß sie direkten Körperkontakt haben müßten.
Es gibt bisher keinerlei Hinweise auf erotische oder sexuelle Beziehungen unter den Figuren, bis auf diejenigen, die als Paare gelesen werden können (war das nun nur eine Figur oder schon zwei?), aber hier wäre es durchaus denkbar, daß die beiden ein Liebespaar darstellen. Ich bin bei meinen Betrachtungen stillschweigend davon ausgegangen, daß es sich um männliche Figuren handelt - daher auch der Titel dieser Betrachtung. Aber vielleicht kann man das auch anders sehen, ich bin mir da nicht sicher und habe mich schon manches Mal wundern müssen, daß jemand anders die geschlechtliche Zuordnung definitiv genau andersherum interpretieren mußte.
Bei diesen beiden habe ich immer das Gefühl, daß sie irgendwie dem Werk eines Karikaturisten oder Cartoonisten entsprungen sind, eines bekannten Künstlers, aber ich komme nicht drauf, wer das sein könnte und wie diese Figuren “wirklich” aussehen. Vielleicht ist es auch nur so, daß ich aus diesen Figuren Comics oder Cartoons entwickeln könnte, wenn ich denn ein Comiczeichner oder Cartoonist wäre. Das bin ich aber nicht.
Ich male solche Sachen, kann nicht sagen, wie ich das mache, und es ist klar, daß es sich nicht um Comics oder Cartoons handelt, nicht um Karikaturen, nicht um Illustrationen, und aus all diesen negativen Zusicherungen muß man dann wohl den positiven Schluß ziehen, daß es sich um Kunst handeln muß, was immer das nun wieder ist, und ich mithin ein Künstler bin, ein Künstler im eigentlichen Sinne. Damit befinde ich mich natürlich in guter Gesellschaft; welcher Künstler von Rang hätte denn definieren können, was Kunst ist und wie er es macht.
Nachdem wir nun alle Figuren einzeln betrachtet haben, ist es an der Zeit, das Gemälde als Ganzes in Augenschein zu nehmen. Die Summe der Teile muß ja mehr ergeben, eine größere Einheit, muß Überzeugungskraft entwickeln, darf sich nicht in der Aneinanderreihung der Einzelheiten erschöpfen. Mit anderen Worten gesagt: Es muß ein Werk sein, ein Bild, alles muß sich zueinander fügen, aufeinander bezogen sein, und ich bin gespannt, was bei dieser Betrachtung herauskommen wird.
Im Moment habe ich noch keinen Schimmer. Die Betrachtung der einzelnen Figuren hat eine Menge Überraschungen gebracht und mir diese erst recht erschlossen. Erst durch diese Betrachtungen sind mir die Figuren ans Herz gewachsen, habe ich sie liebgewonnen, alle miteinander. Insofern bin ich froh, daß ich mit dieser Arbeit begonnen habe. Ich bin gespannt, wohin sie mich noch führen wird.
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