Gestern habe ich meine neue Gewohnheit gebrochen, jeden Tag einen Ausschnitt aus einem neuen Gemälde zu zeigen, und mich statt dessen entschlossen, länger bei einem Bild zu verweilen.

Der Grund lag darin, daß dieses Bild nicht so einfach strukturiert ist wie die vorher gewählten. Schon die Anzahl der Gesichter machte es schwierig zu entscheiden, welches das gesamte Bild repräsentieren sollte.

Das Gemälde ist in noch einer anderen Hinsicht anders. Die bisher gewählten Beispiele zeigen in gewisser Weise reale Personen, mit einem Körper, mit klaren räumlichen Bezügen.

Dieses war, soweit ich sehe, das zweite Gemälde, das nicht eindeutig in Bezug auf räumliche Strukturen war; Nr. 241 scheint das erste Beispiel gewesen zu sein, und später sollten viele weitere folgen, was ich damals natürlich nicht wußte. Die nächsten 25 Gemälde sind in dieser Hinsicht wesentlich konservativer, und vermutlich habe ich eine bestimmte Furcht entwickelt, mehr in diese Richtung zu schauen, die durch diese beiden Bilder eröffnet worden ist. Denn ich sehe mich selbst als eine eher rationale Person. Ich möchte gern verstehen, was ich tue, deshalb ist die Malerei eine wirkliche Herausforderung für mich, insbesondere dann, wenn ich keine Ahnung habe, auf was ich mich einlasse.

Wenn ich zum Beispiel eine männliche Person male, liegt die Annahme nahe, daß diese Person mich repräsentiert, daß dieses Gemälde einer Art von Selbstportrait ist. Wenn es eine weibliche Person ist, muß es nach C.G. Jung meine Anima sein, die einfach ein anderer Aspekt der vielen unterschiedlichen Archetypen meines Selbst ist. Im Fall eines Paares würden diese das Ego und die Anima und ihre komplizierte Beziehung darstellen.

Das hört sich anfänglich sehr interessant an, aber nach einer Weile ist es einfach nur langweilig, weil in diesen Hypothesen nicht viel Wahrheit verborgen zu sein scheint. Entsprechend macht es wenig Sinn, bei einer ganzen Party jede einzelne Figur mit einem Archetypen zu identifizieren.

Ich benutze sehr häufig die Analogie zum Traum. Vielleicht bevölkern viele Personen Ihre Träume, aber hilft es wirklich, die lebhaften Vorgänge des Traums auf vorgefertigte Rollen zu projizieren, die von einer der vielen psychologischen Schulen präsentiert werden? Nach meiner Erfahrung nicht.

Daher habe ich mich nie wirklich auf die Interpretation meiner eigenen Bilder eingelassen. Ich bevorzuge es, einfach zu schauen und zu fühlen und zu genießen. Aber diese Haltung erfordert eine bestimmte Kühnheit und Selbstsicherheit, die ich vermutlich zu jener Zeit nicht hatte. Mit anderen Worten: Ich malte etwas, dem meine bewußte Person nicht gewachsen war.

Wenn ich mir das Gemälde nun nach fast 30 Jahren wieder anschaue, bin ich verblüfft über die Meisterschaft. Ich wußte gar nicht, daß das Gemälde so gut ist. Vermutlich war das ein Segen. Ich habe damals ein Bild nach dem anderen gemalt, viele in ziemlich kurzer Zeit, und die meisten entpuppten sich als wirkliche Meisterstücke.

Der Titel dieser Betrachtung sollte andeuten, daß ich dieses zweite der drei großen Gesichter mit Indianern assoziiere. Im Grunde ist es nicht wirklich ein Indianergesicht, aber es gibt einige Ähnlichkeiten. Andere Aspekte dieses Gesichts wirken eher europäisch. Interessanterweise gibt es auch in meinem Gesicht manchmal indianische Anklänge - manchmal eher zigeunerische, mit Sicherheit aber nicht wirklich “germanische”.

Dieses Gesicht ist wie das andere nicht sehr realistisch, es könnte ebensogut eine Maske sein, aber es scheint doch eine fühlende und sehr lebendige moderne Person mittleren Alters zu sein. Technisch gesehen kombiniert es die Frontal- und Profilansicht, wie sie von Picasso ausgearbeitet worden ist, wiewohl er sie nicht erfunden hat, wie oft behauptet wird - zumindest im frühen Barock hat man diese Beobachtung schon gemacht, wie ich von einer Zeichnung in einem der wunderbaren Bücher, aus denen ich gelernt habe, erfahren konnte. Die 3/4-Ansicht jeden Gesichtes gibt praktisch diese Kombination, wenn die Beleuchtung richtig ist.

Bekanntlich hat die kühne Interpretation dieser Ansicht durch Picasso Generationen von Betrachtern befremdet, aber heute gehört dieser Trick zum täglichen visuellen Vokabular. Viele Cartoonisten arbeiten beispielsweise mit diesen Mitteln. Deshalb kann die Verwendung dieses Prinzips hier nicht wirklich überraschen. Wir wissen heute alle, wie man solch ein Bild liest, und die Anklänge an Picasso sind nicht überwältigend. Diese besondere Ansicht ist inzwischen Teil unseres kulturellen Erbes geworden.

Das zweite große Gesicht schaute ebenfalls bekümmert, sieht eher nach innen als auf die Szenerie außen. Von diesem Ausschnitt kann man nicht auf den Rest der Person schließen; wir werden bald mehr davon sehen. Die roten Formen unten und links gehören nicht zu dieser Figur, sondern zum dritten der ungefähr gleichgroßen Gesichter, das seinerseits direkt unterhalb unseres indianischen Kriegers erscheint.