Thu 19 Jul 2007
Die Radierung “Raffael und die Fornarina XXII” ist die erste Illustration zum Artikel “Die späten Grafiken Picassos: Existenzbeweise, tausendfach” von Dr. Frank Laukötter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am » K20, abgedruckt im Heft Nr. 01/07 von » Vernissage. Der Aufsatz wird damit eingeleitet, daß die schiere Fülle an Werken in den letzten zehn Jahren seines Lebens herausgestrichen wird. Während er bis zum 80. Geburtstag alle zwei Tage ein neues Werk fertigstellte, war die Frequenz danach doppelt so hoch. Das wird mit der zunehmenden Todesangst erklärt, wie schon im Titel angedeutet; er wird aber auch dahingehend zitiert, daß er zwar weniger Zeit, aber mehr zu sagen habe.
Was das denn nun sei, müßte doch die Hauptfrage sein. Aber genau diese Frage kann nicht beantwortet werden. Statt dessen werden Anekdoten erzählt. Der Leser bleibt ratlos zurück. Picasso wird als Übergenie geschildert, der jenseits aller Kritik steht. Das tut ihm natürlich nicht gut. Schon zu Lebzeiten hatte » John Berger bedauert, daß man die offensichtlichen Aussagen nicht hören wollte, die Augen verschlossen hat vor den Hilferufen des Künstlers, der ja nun wirklich sein Innerstes nach außen gekehrt und seine Not jedermann kundgetan hat (» Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso). Berger wird von der Kunstkritik natürlich nicht ernstgenommen.
Da ich nun einmal herumstöberte, erwarb ich auch den » Ausstellungskatalog zum hundertsten Geburtstag, Werke aus der Sammlung Marina Picasso. Darin findet sich der Aufsatz “Picassos Kubismus 1907-1922″ von Reinhold Hohl. Auf Seite 67 schreibt er:
Zweifellos lohnt es sich am meisten, sich mit den Giganten zu beschäftigen, auch wenn sie noch so problematisch und verschroben sein mögen. Die permanente Lobhudelei ist aber ermüdend. Man wünschte sich doch eigentlich etwas abgeklärtere Urteile. Von einer weiteren Entdeckung erhoffte ich mir neue Einsichten: » Fünf Essays über Picassos Werk. Diese waren kürzer als erhofft, aber immerhin erfrischende Ansichten eines Künstlers. Hockney meint, daß der Einfluß Picassos noch gar nicht absehbar sei, und er schätzt ebenfalls besonders das Alterswerk, vor allen Dingen wegen seiner Fülle, aber auch wegen seiner angeblichen Erfindungskraft:
Damit endet der erste Vortrag “Picassos wirklicher Einfluß”, den er im Oktober 1986 im Los Angeles County Museum gehalten hat. Ich frage mich, wie lange dieser Vortrag wohl gedauert haben mag. Man liest ihn in wenigen Minuten. Die Geschichte wird vielleicht eine Weile ebenfalls von der bloßen Energie beeindruckt sein, aber auf die Dauer, fürchte ich, wird das nicht zählen. Warum sollte man sich mit Dingen beschäftigen, die irrelevant sind? Und ich fürchte, viele der Arbeiten Picassos sind irrelevant.
Nun mag man sich natürlich fragen, welche Kunstwerke überhaupt relevant sind. Ich fand es überraschend, daß Hockney sich als junger Künstler mit dem alten Picasso befreundet, und dann fiel mir auf, daß es mir ja genauso ging. Dann beschäftigte ich mich mit meinem Frühwerk und sah sehr deutlich, wie stark ich mich mit Picasso und seinem Spätwerk beschäftigt hatte. Entsprechende Beispiele von Hockney kenne ich nicht.
Der Aufsatz Laukötters endet wie folgt:
Die Arbeiten der Künstler der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die sich laut Hockney gegen den so übermächtigen Picasso wehren mußten, indem sie ihn verdrängten, sind jedenfalls heute vergessen, und auch die Arbeiten Braques oder Matisses lassen mich persönlich sehr kalt. Ich kenne auch kaum welche, woraus ich schließe, daß sie auch ganz allgemein weniger publiziert sind, von Matisse natürlich mehr als von Braque, aber sie interessieren mich nicht. Mein erster Beitrag im Radio war ein Bericht über eine Matisse-Ausstellung in Düsseldorf Anfang der achtziger Jahre, und ich finde es typisch, daß ich mich nicht erinnern kann. Picasso hingegen ist durchaus interessant, auch in seinem Scheitern. Mir geht es so wie John Berger. Ich leide an seinem Versagen, weil ich ihn so liebe.
Ich glaube, es war bei meinem Besuch in Picasso-Museum Münster anläßlich der Aufstellung “Das Musée Picasso Antibes zu Gast in Münster”, daß ich einen Blick in die Autobiographie von Fernande Olivier geworfen habe. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb sie, daß Picasso immer so traurig gewesen sei. Das leuchtet mir ein. Glücklich war er nicht. In Münster wurde behauptet, seine Zeit in Antibes sei die wohl glücklichste seines Lebens gewesen. Dabei beweist die Ausstellung genau das Gegenteil. Es war wohl eine katastrophale Zeit, eine unglückliche Zeit, was umso erschreckender und bestürzender ist, als es eine glückliche hätte sein sollen. O je, du armer Picasso!
Im erwähnten Katalog von Vernissage findet sich auch ein Interview mit Werner Spies, der die Ausstellung in Düsseldorf arrangiert hat. Spies antwortet da auf eine etwas geschraubte Frage:
Schade. Ich finde schon, daß man sich mit ihm und seinen Werken auseinandersetzen muß, daß man mehr sagen muß. Dazu hat es schließlich gemalt. Wenn alle immer nur sagen “großartig, großartig”, machen sie ihn wirklich tot. Direkt neben dieser Aussage findet sich die Reproduktion eines Gemäldes mit dem Titel “Stehender Badener” vom 14. August 1971 mit den Maßen 195 x 130 cm aus einer Privatsammlung. Es ist einfach furchtbar. Das Ding ist eine Katastrophe. Das muß man doch sagen und schreiben!
Was das denn nun sei, müßte doch die Hauptfrage sein. Aber genau diese Frage kann nicht beantwortet werden. Statt dessen werden Anekdoten erzählt. Der Leser bleibt ratlos zurück. Picasso wird als Übergenie geschildert, der jenseits aller Kritik steht. Das tut ihm natürlich nicht gut. Schon zu Lebzeiten hatte » John Berger bedauert, daß man die offensichtlichen Aussagen nicht hören wollte, die Augen verschlossen hat vor den Hilferufen des Künstlers, der ja nun wirklich sein Innerstes nach außen gekehrt und seine Not jedermann kundgetan hat (» Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso). Berger wird von der Kunstkritik natürlich nicht ernstgenommen.
Da ich nun einmal herumstöberte, erwarb ich auch den » Ausstellungskatalog zum hundertsten Geburtstag, Werke aus der Sammlung Marina Picasso. Darin findet sich der Aufsatz “Picassos Kubismus 1907-1922″ von Reinhold Hohl. Auf Seite 67 schreibt er:
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Zweifellos lohnt es sich am meisten, sich mit den Giganten zu beschäftigen, auch wenn sie noch so problematisch und verschroben sein mögen. Die permanente Lobhudelei ist aber ermüdend. Man wünschte sich doch eigentlich etwas abgeklärtere Urteile. Von einer weiteren Entdeckung erhoffte ich mir neue Einsichten: » Fünf Essays über Picassos Werk. Diese waren kürzer als erhofft, aber immerhin erfrischende Ansichten eines Künstlers. Hockney meint, daß der Einfluß Picassos noch gar nicht absehbar sei, und er schätzt ebenfalls besonders das Alterswerk, vor allen Dingen wegen seiner Fülle, aber auch wegen seiner angeblichen Erfindungskraft:
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Damit endet der erste Vortrag “Picassos wirklicher Einfluß”, den er im Oktober 1986 im Los Angeles County Museum gehalten hat. Ich frage mich, wie lange dieser Vortrag wohl gedauert haben mag. Man liest ihn in wenigen Minuten. Die Geschichte wird vielleicht eine Weile ebenfalls von der bloßen Energie beeindruckt sein, aber auf die Dauer, fürchte ich, wird das nicht zählen. Warum sollte man sich mit Dingen beschäftigen, die irrelevant sind? Und ich fürchte, viele der Arbeiten Picassos sind irrelevant.
Nun mag man sich natürlich fragen, welche Kunstwerke überhaupt relevant sind. Ich fand es überraschend, daß Hockney sich als junger Künstler mit dem alten Picasso befreundet, und dann fiel mir auf, daß es mir ja genauso ging. Dann beschäftigte ich mich mit meinem Frühwerk und sah sehr deutlich, wie stark ich mich mit Picasso und seinem Spätwerk beschäftigt hatte. Entsprechende Beispiele von Hockney kenne ich nicht.
Der Aufsatz Laukötters endet wie folgt:
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Die Arbeiten der Künstler der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die sich laut Hockney gegen den so übermächtigen Picasso wehren mußten, indem sie ihn verdrängten, sind jedenfalls heute vergessen, und auch die Arbeiten Braques oder Matisses lassen mich persönlich sehr kalt. Ich kenne auch kaum welche, woraus ich schließe, daß sie auch ganz allgemein weniger publiziert sind, von Matisse natürlich mehr als von Braque, aber sie interessieren mich nicht. Mein erster Beitrag im Radio war ein Bericht über eine Matisse-Ausstellung in Düsseldorf Anfang der achtziger Jahre, und ich finde es typisch, daß ich mich nicht erinnern kann. Picasso hingegen ist durchaus interessant, auch in seinem Scheitern. Mir geht es so wie John Berger. Ich leide an seinem Versagen, weil ich ihn so liebe.
Ich glaube, es war bei meinem Besuch in Picasso-Museum Münster anläßlich der Aufstellung “Das Musée Picasso Antibes zu Gast in Münster”, daß ich einen Blick in die Autobiographie von Fernande Olivier geworfen habe. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb sie, daß Picasso immer so traurig gewesen sei. Das leuchtet mir ein. Glücklich war er nicht. In Münster wurde behauptet, seine Zeit in Antibes sei die wohl glücklichste seines Lebens gewesen. Dabei beweist die Ausstellung genau das Gegenteil. Es war wohl eine katastrophale Zeit, eine unglückliche Zeit, was umso erschreckender und bestürzender ist, als es eine glückliche hätte sein sollen. O je, du armer Picasso!
Im erwähnten Katalog von Vernissage findet sich auch ein Interview mit Werner Spies, der die Ausstellung in Düsseldorf arrangiert hat. Spies antwortet da auf eine etwas geschraubte Frage:
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Schade. Ich finde schon, daß man sich mit ihm und seinen Werken auseinandersetzen muß, daß man mehr sagen muß. Dazu hat es schließlich gemalt. Wenn alle immer nur sagen “großartig, großartig”, machen sie ihn wirklich tot. Direkt neben dieser Aussage findet sich die Reproduktion eines Gemäldes mit dem Titel “Stehender Badener” vom 14. August 1971 mit den Maßen 195 x 130 cm aus einer Privatsammlung. Es ist einfach furchtbar. Das Ding ist eine Katastrophe. Das muß man doch sagen und schreiben!
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