Ursprünglich erschienen 1998 als » Daily Drawing Nr. 26


Der Künstler als junger Mann… Die Augen ohne besonderen Grund weit aufgerissen. Ich habe es noch nicht einmal bemerkt. Meine Freunde wunderten sich, warum es nicht so ähnlich war, wie es sein sollte. Irgend etwas stimmte nicht. Und dann fanden sie es heraus - die Augen waren weit aufgerissen. Vom Starren auf den Spiegel. Normalerweise sind meine Augen natürlich eher halb geschlossen als so weit aufgerissen.

Aber dies ist nicht einer der typischen Fehler, über die ich in Creative Journal 1.3. geschrieben habe. Abgesehen von wenigen Formalien, die ich von meinem alten Lehrer in der Schule lernte, habe ich keine formale Ausbildung in Kunst, aber ich kannte den Trick, Proportionen mit ausgestrecktem Arm und Pinsel zu nehmen. Ich schaue also und sehe die Proportionen und male, was ich sehe, deshalb ist das Bild insgesamt ziemlich realistisch, abgesehen von den aufgerissenen Augen, die als solche aber ebenfalls korrekt gesehen sind.

Da dieses Starren nicht zur Stimmung paßt, wirkt das Gemälde merkwürdig. Es gibt berühmte Radierungen von Rembrandt, die alle möglichen Grimassen zeigen, und ich kenne auch eine Zeichnung, die Beckmann als jungen Mann zeigt mit weit geöffnetem Mund - diese beweisen, daß sich der Künstler für extreme Gesichtsausdrücke interessiert hat.

Das ist hier nicht der Fall. Das Gesicht ist offen, der Ausdruck paßt nicht zu den Augen, und alles was man sieht, ist der Wunsch, das zu malen, was man im Spiegel sieht - die Oberfläche der Dinge.

Natürlich wollte ich herausfinden, ob ich “richtig”, “korrekt”, “realistisch” malen konnte. Ich möchte jetzt nicht erörtern, was damit gemeint sein könnte - es ist ziemlich klar, daß ich genauso naiv an Kunst und Malerei heranging wie die meisten Menschen.

Diese Frage wurde durch das Gemälde beantwortet. Ich brauchte insgesamt zwei oder drei Stunden, um es spontan zu malen, und ich erfuhr auf diese Weise, daß diese Art von Malerei nicht schwierig ist. Nichts Besonderes also. Wenn ich das so einfach ohne besondere Schulung fertigbringen konnte, brauchte ich mich nicht zu schämen, wenn ich mich bewußt dafür entschied, in einem nichtrealistischen Stil zu malen.

Sie erinnern sich vermutlich, dass Picasso für ein Wunderkind gehalten wurde, weil er so realistisch malen konnte. Die Leute hielten ihm das sogar später zugute, als er in großem Stil schockierte. Immerhin hatte er bewiesen, daß er auch anders konnte. Die Leute glauben, daß die realistische Malweise schwierig ist, und alle anderen Malweisen leicht und kindisch. Ich bewies mir selbst, daß das nicht stimmt. Es ist genau andersherum. Realistisch zu malen ist einfach. Formen zu erfinden, die man nicht sieht, ist schwierig.

Heute sehe ich, daß das kein kleines Problem war. Die meisten Leute glauben immer noch, daß sich die Malerei vom Mittelalter mit seinen primitiven Darstellungsmethoden (anscheinend malten diese Leute wie die Kinder, weil sie es nicht besser konnten) in einer geraden Linie über die Renaissance mit ihren mathematischen Erfindungen bis zum 19. Jahrhundert entwickelt hat, mit dem Impressionismus als Höhepunkt, der ja eine Verbesserung im Bezug auf die Darstellung des Lichtes und der Luft brachte, bis zur modernen Malerei, die mit dieser Tradition offen brach.

Die allgemeine Meinung geht dahin, daß der moderne Künstler ein ausgesprochener Stümper ist, der sich über das Publikum lustig macht, und dieses befürchtet, hereingelegt zu werden und sich lächerlich zu machen. Es gibt Unmengen von Geschichten über dieses Thema; eine der letzten, von denen ich gehört habe, passierte Anfang diesen Jahres: Ein dänisches Vorschulkind bekam einen bedeutenden Preis für ein abstraktes Gemälde. So etwas stellt wirklich ein Problem dar. Die Experten konnten Arbeiten von reifen Künstlern nicht von der eines Kindes ohne jede künstlerischere Ambition unterscheiden. Offensichtlich gibt es überall nach wie vor die größte Verwirrung.

Auf “El Quatre Gats” kann man beispielsweise lesen, wie verwirrt, sogar wütend die Leute über Picasso sind (Online-Forum, nicht mehr vorhanden). Ich zweifelte nicht, daß die moderne Kunst ihre Meriten hat, aber ich war nicht ganz sicher. Dieses Gemälde zeigt, daß es mir egal ist. Ich mußte herausfinden, warum ich überhaupt malen wollte, und wie ich ein Gemälde produzieren konnte, für das sich die Anstrengung lohnte.

Einige Tage vorher hatte ich meinen Durchbruch, aber ich merkte es nicht. Ich hatte mein erstes Gemälde ohne vorherige Vorstellung gemalt. Es war ebenfalls ein Selbstporträt, aber nicht so realistisch, daß ich es hätte bemerken können. Ich habe es natürlich auch nicht vor einem Spiegel gemacht. Aber es war das erste Bild, von dem ich meinte, daß man es aufhängen könnte, das erste, mit dem ich zufrieden war. Die Tatsache, daß ich ein paar Tage später dieses realistische Gemälde machte, beweist, daß ich überhaupt nicht verstand, was das bedeutete.

Ich mag den jungen Mann, der sich in diesem Bild zeigt. Man sieht, daß er sich und anderen nichts vormacht. Er sucht etwas, aber er weiß nicht, was es ist. Dabei ist es sehr einfach. Es liegt offen vor ihm, aber er sieht es nicht. Er sucht sich selbst. Er möchte wissen, wer er ist. Das ist der Kern eines jeden Lebens: Wisse, wer du bist! Man kann das nicht herausfinden, indem man in einen Spiegel starrt. Wirklich nicht.





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