Ursprünglich veröffentlicht 1998 als » Daily Drawing Nr. 30


Dieser hier ist nicht so süß… Die Werknummer verrät, daß dieses Gemälde direkt vor dem letzten angefertigt wurde. Es gibt auch einige Ähnlichkeiten, aber die Unterschiede springen mehr ins Auge. Dieses ist grob, brutal, aber … wenn Sie es eine Weile betrachten, ist es einfach schön und großartig!

Es hängt in der Wohnung meiner Familie an der Wand, und wenn man mit einem Gemälde lebt, fühlt man seine Gegenwart, aber meistens wird man es nicht direkt anschauen. Man merkt das, wenn man von einer Reise zurückkehrt oder wenn man es abhängt. Man vermißt es.

Vor einiger Zeit lag ich auf dem Sofa, den Kopf im Schoß meiner Frau, das Fernsehen lief, ich hatte keine Lust, mir das anzuschauen, meine Augen wanderten ohne Absicht zu dem Gemälde. Da sah ich, wie wunderbar das Bild wirklich ist. Ich erlebte es neu, und ich wunderte mich, wie man so etwas machen kann! Ich wußte, daß ich es selbst gemacht hatte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich es hätte tun sollen.

Dies ist also Kunst, und ich bin stolz darauf. Natürlich ist es meine Sache, Sie müssen es nicht mögen. Wo ich nun ein Galerist bin, finde ich auch Vergnügen an Werken anderer Künstler, und natürlich liebe ich viele unserer großen Meister. In der letzten Tagen habe ich eine neue Seite für Tina Tacke aufgemacht (siehe Werbeanzeige oben), neue Bilder für Robert Schaefer eingefügt und die Seite für Anne Stahl vervollständigt.

Den Titel für dieses Bild habe ich wegen des Phantasietieres links ausgewählt. Es gibt selbstredend auch eine Schlange und einen Vogel. Diese gemeinen Biester, Drachen oder was immer, sehen häufig zahm oder launig oder komisch aus, sie repräsentieren eher vitale als schreckliche Seiten, und wenn sie erschrecken, merkt man, daß es eher ein Schrecken ist wie in einem Kaspertheater - man weiß, daß es nicht wirklich ist.

Die Leute mögen grausame Dinge in Filmen und Literatur, Action, Krieg, Horror verkauft sich wirklich gut. Wie ist das zu verstehen? Psychologen nehmen an, daß die Mechanismen ähnlich sind wie bei Kindern, die sich grausame Märchen anhören: Man sitzt auf dem Schoß der Mutter, sicher und warm, und erlebt aufregende Dinge, von denen man weiß, daß sie gut enden. Erinnern Sie sich an dieses Gefühl?

Es scheint, daß Erwachsene diese Art von Rückversicherung ebenfalls brauchen. Das ist natürlich ein verzwicktes Rätsel. In unserer Kultur streben wir danach, gut zu sein. Nun ja, das ist in Ordnung, aber um genauer zu sein: Wir möchten ausschließlich gut sein. Philosophisch und semantisch und … kann Gutes nur existieren, wenn es auch Böses gibt. Das ist eine sehr wichtige Beobachtung: Wir leben in einer Welt der Gegensätze, einer Welt der Dualitäten, und es gibt nichts ohne sein Gegenteil, seinen Widerpart.

Also versuchen Sie nett zu sein, aber Sie sind auch grausam. Sie möchten ausschließlich und überall lieben, aber Sie hassen auch. Ich fand es viel verwirrender zu akzeptieren, daß ich im Leben auch Böses anrichten mußte als nur Gutes zu tun. Gut zu sein ist leicht und beruhigend. Jedermann liebt Sie, wenn Sie nett sind. Um aber lernen zu können, muß ich frustriert werden, und das bedeutet vielleicht, daß irgendjemand einmal grausam zu mir sein muß. Es mag notwendig sein, daß ich mich weiterentwickeln muß, um zu lernen, was für mich in meinem Leben wichtig ist.

Bei Kindern kennt man das gut. Man möchte als Elternteil ausschließlich liebend und fürsorglich sein. Aber die Kinder müssen auch ihre Grenzen finden und kennenlernen. Wenn man sein Kind nicht frustriert, wird man ihm also nur schlecht dienen. Dasselbe trifft auf Lehrer zu. Für einige Zeit meines Lebens war ich Lehrer. Ich wollte von meinen Schülern geliebt werden, aber ich mußte sie auch frustrieren, um ihnen eine Chance zu geben, sich zu verbessern. Mein Schuldirektor erklärte mir sogar, daß ich ihnen eine doppelte Bürde aufhalse, wenn ich möchte, daß sie mich mögen. Sie müßten sich dann jemand anders suchen, auf den sie ihren Ärger abladen könnten.

Wenn man diese dunklen Impulse als durchweg negativ sieht, übersieht man, daß sie sehr viel Kraft enthalten. Im Kaspertheater gibt es immer ein Krokodil, das diese vitale Kraft repräsentiert. Natürlich wird das Krokodil vom Kasper verhauen, und die Kinder johlen dann. Niemand scheint zu sehen, wie vital und notwendig das Krokodil ist. Denken Sie einmal darüber nach. Schauen Sie sich diese Bilder an.





Siehe auch den neuen Scan  622