Wed 15 Mar 2006
Es fängt schon mit dem Titel an. Immer wieder einmal habe ich versucht, den Bildern Titel zu geben, und bisher haben alle Beiträge hier einen Titel bekommen; und wenn schon nicht das Bild, so sollte doch vielleicht wenigstens diese Betrachtung einen Titel bekommen. Aber zunächst fiel mir auch hierzu nichts weiter ein als die Werknummer. Was könnte ich zu diesem Bild schon sagen, was sich durch den Titel ausdrücken ließe?
Mal sehen, vielleicht kann ich wenigstens einen Titel für die Betrachtung finden; bestimmt fällt mir etwas ein. Für das Bild sehe ich aber schwarz. Die Betitelungen, die ich zuweilen vorgenommen habe (eigentlich erst, seit ich im Internet publiziere), sind allesamt im Grunde nicht ernstgemeint. Aber trifft das nicht auf alle Bildtitel zu?
Wenn ich zum Beispiel an das » Frühstück im Grünen von Manet denke - mit Frühstück hat das eigentlich wenig zu tun, aber desto mehr mit Kunst, mit Reflexion nämlich, denn bekanntlich ist dieses Bild eine Paraphrase über eine Paraphrase, die möglicherweise selber wieder eine ist. Was will in diesem Zusammenhang ein Titel schon besagen?
Hat Picasso seine Bilder betitelt? Nicht daß ich wüßte. Zwar haben sie alle Titel bekommen, aber im Regelfall wohl nicht durch ihn, sondern eher durch die Händler. Max Beckmann hat seine Bilder immer betitelt, und im Laufe des Entstehungsprozesses haben diese Titel sich oft verändert. Mir kommt es aber so vor, als hätte er sie nur beim Namen nennen wollen.
Ein Name beschreibt ja nicht den Inhalt. Peter heißt Peter, weil er Peter heißt, und nicht etwa, weil er etwas an sich hat, was man mit “Peter” beschreiben könnte. Warum heiße ich Werner? Sicher nicht, weil meine Eltern mich mit diesem Namen beschreiben wollten. Die Wikipedia sagt:
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Das alles hat mit mir überhaupt nichts zu tun. Der Name Werner beschreibt mich nicht, sondern bezeichnet mich nur. Bei Beckmann sind Titel oft beschreibend (z. B. » Künstler mit Gemüse) oder beschreiben irgend eine Einzelheit, die mehr oder weniger entfernt mit dem Gemälde zu tun hat, dieses aber nicht erschöpft, sondern eher nur benennt (z. B. » Schauspieler, » Odysseus und Calypso).
Bei den Surrealisten war es ein beliebtes Spiel, den Titel möglichst absurd zum möglichst absurden Bildinhalt zu erfinden (Beispiel: Magritte, » La condition humaine). Auch Paul Klee lud seine Freunde und Schüler zum Betiteln ein. Mir würde das wirklich widerstreben. Ich bin mit der Numerierung ganz zufrieden.
Der einzige Nachteil ist, daß man sich unter einer Nummer nun wirklich nichts vorstellen kann. Deshalb haben wir eben alle Namen, und deshalb haben auch die Internetpräsenzen Namen, im Gegensatz zur Telefonnummer, die man sich ebenfalls schlecht merken kann.
Ich sehe schon ein, daß Namen ihre Vorteile haben, und habe tatsächlich für wenige Gemälde wirkliche Namen erfunden, etwa Josef, Martin etc., und diesen Namen auf dem Keilrahmen vermerkt, aber das half mir gar nicht, denn ich konnte mir die Namen dann nicht merken. Wie haben das nur die Surrealisten gemacht? Bei Beckmann geht das ja noch.
Aber ich merke, ich drücke mich immer noch. Ich möchte ja gerne etwas zu dem Bild selbst sagen. Also fange ich mal formal an. Wir haben, so hatte ich festgestellt, 3 größere Köpfe, etwa im selben Maßstab, und sieben kleinere, ebenfalls im selben Maßstab. Diese sind auf eine bestimmte Weise angeordnet, so daß sich ein Streifenrhythmus ergibt. Am besten kann man das durch eine Skizze erläutern.
Nach zwei Versuchen, die mich beide nicht recht überzeugt haben, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß es zwar ganz offensichtlich eine streifenartige Struktur gibt, diese aber nicht durch parallele Schnitte, sondern mit unterschiedlichen Winkeln zu bezeichnen sind.
Die Linie ganz rechts ist fast senkrecht, aber auch ein wenig nach rechts geneigt, vielleicht nur ein oder zwei Grad, während die anderen mehr oder weniger, aber ebenfalls nach rechts geneigt sind.
Anfangs konnte ich mich nicht entscheiden, ob es überhaupt eine zentrale Figur gibt, aber inzwischen dürfte es klar sein, daß der › Langohr als Hauptfigur angesprochen werden muß, und zwar aus mehreren Gründen.
Zum einen kann eine Figur am Rande nicht in Frage kommen, zum anderen ist diese ganz vorn, und drittens wird sie durch die beiden mittleren Linien geradezu hervorgehoben. Man sieht das sehr deutlich, wenn man die letzte Konstruktion mit den beiden ersten vergleicht, die irgendwie nicht zu passen scheinen. Diese rahmen den Kopf nicht so ein wie die letzte.
Der › Krieger tritt zurück, schwebt über dem Helden, segnet ihn gewissermaßen, beschützt ihn, während dieser sich seiner zentralen Rolle bewußt zu sein scheint, ohne sich etwas darauf einzubilden.
Dieser Tage habe ich eine interessante Passage bei » Raymond Smullyan gelesen, die sich mit Egozentrik beschäftigt (» Das Tao ist Stille, Original » The Tao Is Silent). In der mir vorliegenden Ausgabe (Frankfurt S. Fischer, gebunden, 2. Auflage) heißt das Kapitel 30 “Egozentrik und kosmisches Bewußtsein” (Seite 194-96). Er zitiert das » Sonett LXII von Shakespeare (sic! Auch numeriert), das sehr schön seine These illustriert.
Im Lichte des kosmischen Bewußtseins ist der Held jung, attraktiv, strahlend, unsterblich, kraftstrotzend, kreativ, unbesiegbar - unheilbar egozentrisch. Mit nüchternem Bewußtsein ist er alt, häßlich, krank, verachtet sich selbst - genau das Gegenteil. Der Autor nimmt diesen Widerspruch mit Freude zur Kenntnis, anscheinend kennt er ihn an sich selbst, aber er kann es nicht richtig erklären.
Er zitiert dazu Richard Maurice Bucke: » Die Erfahrung des kosmischen Bewusstseins (Original: » Cosmic Consciousness: A Study in the Evolution of the Human Mind):
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Diese Wendung war für mich sehr interessant. Die Bezeichnung “Held”, die ich soeben verwendet habe, ist mir ganz geläufig. Vor 20 Jahren habe ich schon vom Helden gesprochen, weil es so naheliegend war. Viele Hauptfiguren in meinen Bildern sehen viel heldenmäßiger aus als dieser, und eine ganze Reihe von Assoziationen war mir schon eingefallen dazu; verschiedentlich habe ich mich damals in Reden darüber verbreitet (» Die Figur des Helden, 1985, » Ein Heldenmythos, 1986).
Der von Smullyan angesprochenen Zwiespalt, daß nämlich der Held vollkommen egozentrisch ist, sich aber nichts darauf einbildet, schien offensichtlich, und für mich als Schöpfer war ohnehin klar, daß ich persönlich mir nichts darauf einbildete. Nichtsdestotrotz versuchte ich mich in die Rolle des Helden einzufinden, konnte aber diesen merkwürdigen Widerspruch, den Bucke bzw. Shakespeare so schön herausgearbeitet haben, weder konkretisieren noch auflösen. Heute, denke ich, kann ich das, und würde das mit anderen Worten tun als Smullyan.
Für die heutige Betrachtung führt das aber zu weit; beim nächsten Mal will ich dort wieder ansetzen. Kann ich nun nach dieser Entwicklung, die ich mir nicht vorgestellt hatte und nicht hätte vorstellen können, einen Titel finden? Müßte doch möglich sein. Wie wäre es mit Egozentrik?
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