Dies ist der dritte große Kopf im Gemälde 242. Er befindet sich direkt unterhalb des zweiten großen Kopfes, und beide bezeichnen etwa die Mittelachse des Bildes.

Diese Figur steht ziemlich genau in der Mitte am unteren Rand, und durch die Neigung des Kopfes ergibt sich eine leichte Schräge, die dadurch verstärkt wird, daß der oberhalb erscheinende Kopf leicht nach rechts versetzt ist und außerdem im Dreiviertelprofil mit Blickrichtung nach links gezeigt wird.

Die orange-roten Federn, die seinen Kopfschmuck ausmachen, hatten wir schon vor zwei Tagen gesehen ( Indian Warrior). Der Kopfschmuck und die rote Gesichtsbemalung deuten auf eine exotische Herkunft hin, ebenso das langgezogene Ohrläppchen. Eine rote Perlenkette schmückt den Hals; durch die intensive rote Farbe erscheint das Gesicht besonders blaß.

Abgesehen von den Attributen wirkt dieses Gesicht nicht gerade exotisch, es kann sicherlich als WASP = white-anglo-saxon-protestant = weiß + angelsächsisch + protestantisch durchgehen. Das Geschlecht des ersten großen Kopfes ( No Brainer) ist etwas unbestimmt, könnte aber durchaus männlich sein, der zweite ist nach meinem Dafürhalten genauso eindeutig männlich wie der dritte.

Die Zuordnung zu den Geschlechtern ist normalerweise leicht. Es gibt zwar weibliche Männer und männliche Frauen, aber trotzdem ist man sich meistens schon auf weite Entfernung hin sicher. Dazu trägt die gesamte Figur und das Bewegungsmuster bei. Bei einem Foto, einem Ausschnitt noch dazu, ist es etwas schwieriger, aber trotzdem im allgemeinen eine leichte Übung.

Für mich haben die Figuren meistens auch ein ganz eindeutiges Geschlecht, wobei ich durchaus eine Tendenz zu weiblichen Männern und männlichen Frauen feststelle. Deshalb war ich sehr überrascht, daß diese Eindeutigkeit für Betrachter nicht unbedingt genauso gegeben sein muß. Das fand ich sehr interessant. Das wirft die Frage auf, wie denn eigentlich die Zuordnung bzw. Einschätzung erfolgt. Was sind die charakteristische Merkmale, aufgrund deren wir erkennen können? Wie erkennen wir überhaupt?

Ein Bild löst im Betrachter Empfindungen und Assoziationen aus, die selbstverständlich ganz durch die Person determiniert sind. Wie denn überhaupt die Frage der Wahrnehmung und der Erkenntnis extrem kompliziert zu sein scheint. Wir erfassen unsere Umwelt über unsere Sinne, aber diese Sinne arbeiten in jedem Individuum anders.

Ganz offensichtlich ist das bei denjenigen, die unter einer Farbfehlsichtigkeit leiden. Aber auch sonst muß man sich doch fragen, ob das Rot, das ich wahrnehme, auch von jedem anderen so wahrgenommen wird. Die Antwort muß natürlich lauten: keineswegs! Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr muß man sich wundern, daß wir überhaupt kommunizieren können.

Ich lasse diese Diskussion deshalb jetzt auf sich beruhen und fahre einfach unbekümmert in der Schilderung meiner Wahrnehmung fort; der Leser wird ja seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen machen. Nachdem wir schon festgestellt hatten, daß die anderen großen Gesichter und sogar der Fisch bekümmert dreinblicken, ist der Ausdruck der unteren Figur ziemlich klar. Diese Person schaut überhaupt nicht nach außen, ist vielmehr ganz mit sich selbst beschäftigt.

Oberlippe und Unterlippe fügen sich zu einer regelmäßig geschwungenen Linie zusammen, die eine deutliche Tendenz nach unten hat. Normalerweise drückt sich dadurch Verbitterung aus, aber so weit geht es hier nicht. Es könnte eher auf einen gewissen Überdruß hinweisen, auf Trauer und Schmerz.

Während der zweite Kopf markant männlich wirkt, empfinde ich diese Person als deutlich weich gezeichnet. Es scheint sich um einen jungen Mann von vielleicht 25 Jahren zu handeln, dessen Züge ungewöhnlich regelmäßig sind. Seine scharfe Nase steht im Gegensatz zum gleichmäßig runden Kinn. Es ergibt sich insgesamt ein gewisser Widerspruch. So glatt, wie diese Person dasteht, kann man sich ihre Gemütsverfassung nicht erklären.

Der Federschmuck ist nicht einzuordnen. Ein indianischer Schmuck ist es jedenfalls nicht. Irgendwie will sich bei mir die Assoziation “Buddha” nicht vertreiben lassen. Buddha war bekanntlich ein behüteter, verwöhnter indischer Prinz, der sein Leben dennoch unerträglich fand und deshalb kurzerhand ausgestiegen ist.

Um mich zu vergewissern, habe ich gerade die entsprechende Seite bei der deutschen Wikipedia aufgerufen und war sehr erstaunt, daß die dort abgebildete Statue tatsächlich lange Ohren hat, genauer langgezogene Ohrläppchen (» Buddha). Das war mir gar nicht bewußt, aber selbstverständlich habe ich schon viele solche Statuen gesehen und unbewußt bestimmt wahrgenommen, daß Buddha immer so dargestellt wird.

Was mich aber noch mehr verwunderte, war die lange schmale Nase dieser Figur und die feine Zeichnung, die durchaus etwas Weibliches an sich hat. Sie hält die Augen geschlossen oder hat sie niedergeschlagen, was man auf dem Foto nicht genau erkennen kann; auf jeden Fall scheint sie ebenfalls nach innen zu blicken. Die Assoziation mit Buddha ist also anscheinend so abwegig nicht. Allerdings ist Buddha als Vollendeter nicht bekümmert, sondern gleichmütig oder sogar fröhlich. Unser Langohr ist also noch nicht soweit.