Über den Bezug meiner Arbeit zu gesellschaftlichen Strömungen der 80er Jahre
Rede Kiel 9.3.1984, Galerie Wallenfels
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Galerie!
Es ist stets riskant, im Fluß des Geschehens, in der Vielfalt der Phänomene Zeichen zu setzen, Wegmarken auszumachen, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden zu wollen.
Die Einschätzung der Lage schwankt nicht nur von Person zu Person, auch der Einzelne sieht sich gezwungen, je und je seinen Standpunkt, Blickwinkel, sogar die Sehrichtung zu verändern. Trotzdem sind wir auf diese stete Navigationsarbeit angewiesen und wenden erhebliche Mühe auf, das Dunkel der Existenz und der Zukunft nach Kräften zu lichten.
In diesem Sinne ist das Folgende ein Versuch, heute zu dem angekündigten Thema Stellung zu beziehen: vor Monaten hätten die Aussagen anders gelautet, demnächst wird vielleicht Präziseres zu sagen sein. Es geht um den Bezug meiner Arbeiten zu gesellschaftlichen Strömungen der 80er Jahre.
Unter vielen Strömungen unterschiedlichen Charakters und Gewichts beziehe ich mich auf solche, die in den letzten Jahren in vielfältiger Weise sowohl in der Literatur als auch in den Medien behandelt werden, wobei Titel wie "Das Neue Zeitalter", "Wendezeit" oder "Trendwende" einen grundlegenden Umbruch sämtlicher Werte andeuten wollen.
Es geht also nicht um einzelne periphere Phänomene, sondern vielmehr um Gemeinsames in einer Vielzahl unterschiedlichster Bewegungen, deren Kraft und Reichweite ständig zunimmt. Ich kann Ihnen heute nur andeuten, wo andere umfangreiche Bücher geschrieben haben, um diese Beobachtungen zu belegen.
Ich beginne mit der Physik, wo sich die Konsequenzen des Bruchs mit der Newtonschen Physik zu entfalten beginnen. Die Quantenmechanik, in den 30er Jahren entwickelt, beschreibt die Welt des Subatomaren. Neben völlig neuen Auffassungen von Raum und Zeit und der Natur der Materie, die sich immer mehr den Aussagen der Mystiker über diese Themen nähern, ist eine Erkenntnis die, daß wir keine Subjekt-Objekt-Trennungen vollziehen können: hier bin ich - dort ist die Welt.
Nicht nur, daß der Beobachter durch die Beobachtung das Phänomen beeinflußt, so daß nur Aussagen über Phänomene plus Beobachter, also uns selbst, möglich sind, es stellt sich ein inniger Zusammenhang sämtlicher Phänomene heraus: Alles steht mit Allem in Zusammenhang, Alles beeinflußt Alles.
Nehmen wir als zweites Beispiel die Öko-Bewegung, die sehr intuitiv dieselben Maximen befolgt. Hier versteht auch der Mann auf der Straße, daß ein grundsätzlicher Wechsel sich vollzieht: während man noch z.B. durch Sprachregelungen wie "Entsorgung" glauben zu machen sucht, daß man sich etwelcher Gifte entledigen könnte, setzt sich die Einsicht durch, daß es kein Entrinnen gibt: was immer man versucht, das Gift ist in der Welt, nimmt teil am Kreislauf der Stoffe und holt uns wieder ein. Die Sicht der Ökologen vom großen Zusammenhang alles Lebendigen und Leblosen wird von der neuen Biologie auf wissenschaftliche Füße gestellt.
Die neue Medizin sucht den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen, also von einer Konzeption der Gesundheit her, während die alte Medizin mit ihrer Isolierung von Krankheitsphänomenen kurz vor dem Offenbarungseid steht, ihn eigentlich längst hätte leisten müssen. Die geläufigen Stichworte dazu lauten: die Geißeln der modernen Menschheit, Krebs, Infarkt, etc., Kostenexplosion, iatrogene, d.h. vom Arzt verursachte Krankheiten.
Auch auf andere Wissenschaften läßt sich das schon mehrfach benutzte Adjektiv "neu" anwenden, stets im Sinne von Ganzheitsschau und dadurch bedingter Umwertung grundsätzlicher Werte. Die Grundlage, so könnte man sagen, ist das Neue Bewußtsein, das sich der Verbundenheit von Körper, Geist, Seele, Menschheit, dem Leben schlechthin, der Erde, des Kosmos gewahr wird und daraus die Konsequenzen für jeden Bereich zieht, der unserem Einfluß unterliegt.
Aus der Fülle hier einzuordnender politischer Bewegungen sei der Feminismus genannt, der sich zunächst sorgte, die Männerwelt mit ihren Werten wie Macht, Erfolg, Einfluß, Härte, Entschlußkraft, Wille etc. den Frauen zu erschließen, inzwischen jedoch erkannt hat, daß dies die Welt mit Sicherheit noch eher dem Ruin entgegentreiben würde. Im Gegenteil haben heute auch die Männer erkannt, daß Feminismus ein Wandel für Mann und Frau bedeutet, und zwar hin zu Ausgeglichenheit, Vollständigkeit und Ganzheit.
Das bedeutet: Frauen müssen ihre männliche Seite, Männer ihre weibliche Seite entwickeln, die westliche, einseitig männlich orientierte Welt mit ihren allseits bekannten Resultaten muß die weiblichen Werte Intuition, Einfühlungsvermögen, Gefühl, Harmonieverlangen, Vollständigkeitsstreben, Liebesfähigkeit, Innerlichkeit, Interesse und Wohlgefallen am Individuellen, Einzelnen, um nur ein paar Schlagworte zu nennen, entwickeln; viele sind versucht zu sagen: wenn es nicht schon zu spät ist.
Ich hoffe, Ihnen ein wenig verdeutlicht zu haben, was ich unter gesellschaftlichen Strömungen der 80er Jahre verstanden wissen möchte. In gewisser Weise reflektiert mein persönlicher Entwicklungsweg diese Neuorientierung, denn ich begann mein produktives Erwachsenenleben als Mathematiker, Prototyp des logisch-analytisch-deduktiv-abstrakt arbeitenden Wisseschaftlers, und habe mich gemausert zum intuitiv-simultan-ganzheitlich-sinnlich-konkret arbeitenden Künstler.
Dies bedarf einer Erläuterung, denn es gibt viele Künstler, die arbeiten eher wie ein Mathematiker. Die Erkenntnisse der Gehirnphysiologie der letzten 20 Jahre haben gezeigt, daß die oben aufgestellten Begriffspaare, z.B. logisch-intuitiv, abstrakt-konkret, den Eigenschaften der beiden Gehirnhälften entsprechen. Danach läßt sich etwas simplifizierend sagen, daß ich als Mathematiker mit der linken, als Künstler mit der rechten Gehirnhälfte gearbeitet habe bzw. arbeite.
Malerei vollzieht sich so als Leerwerden, Kommenlassen, Geführtsein, Liebenkönnen, das einem Unausdenkbaren, Notwendigen zur Gestalt verhilft, ins Dasein bringt. Der Prüfstein der Bilder ist das unbestechliche, keiner Täuschung unterliegende Gefühl, das aus meiner Mitte kommt. Die Wahrheit der Bilder bezieht sich aus meinem Wesenskern, in ihnen reflektiert sich mein Sein und Werden.
Diese Selbstbezogenheit steht nun in direktem Zusammenhang mit den angesprochenen Strömungen, die die Welt ändern wollen, indem der Einzelne bei sich ansetzt, die diese Methode für die wirksamste und einzig erfolgversprechende halten. Nicht nur, daß die Welt sich ändert, indem Einzelne sich verändern, die Energie und Kraft des Einzelnen wirkt weit über seinen persönlichen Wirkungskreis hinaus. In diesem Sinn faßte Max Beckmann seine Malerei als angewandte Magie auf.
Selbstbezogenheit ist nun weit verbreitet als Egoismus, Machtstreben , etc, und in diesem Sinne ein Ausdruck der Alten Welt. Meine Bilder zeigen davon nichts. Das Interesse am Individuum, das aus meinen Bildern spricht, hat religiöse Züge insofern, als der Mensch eingebunden erscheint in größere Zusammenhänge, die ihm verborgen sind, die es intuitiv zu erkunden gilt, deren Mißachtung unmöglich, weil außerhalb der Vorstellung liegend erscheint.
In vielen Bildern erscheinen Personen, die wissend, aber nicht handelnd, dem Helden der Pilgerfahrt zur Seite stehen, ihre Erwartungen deutlich zeigend, während der Protagonist, sei es nun eine junge, alte, männliche oder weibliche Person, eher ratlos, verwirrt, gehemmt erscheint, wo doch ein Schritt ins Ungewisse von ihm erwartet wird. Die Szene hat oft eine gewisse Härte, da es erscheint, als hätte ein Fehler übelste Folgen. Die Unbedingtheit und Unerbittlichkeit der Mimik, die Krassheit der Formen und Wildheit der Farben, deren Eindruck zunächst überwiegt, wird etwas kompensiert durch das Wohlwollen und die Anteilnahme, die die Akteure verbindet.
Eine Reihe von Bildern zeigt die eben geschilderte Aufteilung von Wissend-Beobachtendem und Ratlos-Handeln-Sollendem in Zwei-Personen-Bildern, wobei stets die Rolle des Wissenden von der weiblichen, die andere von der männlichen Figur übernommen wird. Dies scheint mir in direktem Bezug zu stehen zu dem, was ich soeben sowohl zum Feminismus als auch zur Gehirnforschung sagte.
Der Ritualcharakter vieler Bilder weist auf Praktiken der Vergangenheit, durch die mittels Magie der Entwicklungs- und Reifeprozeß initiiert oder beschleunigt wurde. Die seither unterdrückte und nur noch untergründig weiterlebende besondere Kraft und Rolle der Weiblichkeit, die in Kulten verschiedener Göttinnen ihren Ausdruck fand, deren Charakteristikum die umfassende Einheit alles Lebendigen, von Leben und Tod, Vergangenheit und Zukunft war, taucht in konkreter Form in einzelnen Bildern auf.
Das Bild der Einladung, 251, z.B. zeigt links eine Frauenfigur mit merkwürdigem Kopfputz. Die einzige Assoziation für mich war Hathor, eine ägyptische Göttin mit gebogenen Kuhhörnern und Sonnenscheibe auf dem Kopf. Vor kurzem las ich erstmals über einige solcher Kulte im Mittelmeerraum und erfuhr, daß damit stets das Schlagensymbol verbunden war, das denn auch in diesem Bild sogar mehrfach auftritt.
Es wäre verfehlt, Bilder nach ihrer Deutbarkeit beurteilen zu wollen. Ihre Wirkung und Wirksamkeit ist entscheidend, und beides vollzieht sich jenseits der Worte. Die momentane Wirksamkeit hängt ab von der Aufnahmebereitschaft der Zeitgenossen. Es gibt Vieles, das absolut überständig ist und gerade deshalb bestens aufgenommen wird. Für meine Arbeit scheint mir die Zeit nun reif zu sein.
Sowohl das Besondere, das mein Werk erschließ, als auch die allgemeinen Bezüge konnten hier nur knapp angedeutet werden - selbst das geriet viel zu lang. Ich hoffe, daß ich trotzdem verständlich war.
Ich danke Ihnen.
|