English


Über die Beobachtung des schöpferischen Prozesses
Improvisierte Rede über Werknummer 226, Hürth 13.3.1983, Kreishaus, Tonbandmitschnitt




Meine Damen und Herren,

ich muß Sie zunächst mal enttäuschen, ich hab nämlich meine Dias vergessen.

Ich habe sie extra herausgelegt, damit ich sie nicht vergesse, und das hat dann dazu geführt, daß ich sie dann doch nicht dabei hatte. Ich hoffe, ich kann Sie trotzdem entschädigen.

Ich wollte nämlich Dias zeigen, aus dem Entstehungsprozeß dieses Bildes, und ich möchte Ihnen das jetzt mit Worten einigermaßen nahebringen, was ich Ihnen damit vermitteln wollte. Als ich dieses Bild gemalt habe, und einige andere auch, um die Zeit 1976, da wollte ich nämlich mir selbst auf die Schliche kommen. Ich wollte gern wissen, was passiert eigentlich, wenn ein Bild entsteht, und habe immer wieder, wenn etwas Entscheidendes passiert ist, ein Foto gemacht.

An diesem Bild habe ich sehr lange gearbeitet, ungefähr 7 Monate, auf der Rückseite sind die Einzeldaten vermerkt, und habe dabei ungefähr 120 Dias gemacht. Diese Arbeitsweise habe ich später dann sehr schnell sein gelassen, weil ich gemerkt habe, daß mich das bei der Arbeit sehr behindert hat, diese Selbstbeobachtung. Ich wollte Ihnen auch zu den Dias sagen, daß das keineswegs grundsätzlich immer so abläuft, sondern daß ich nur zufällig zu diesem Bild eben Dias habe; ich habe daran gelernt, an der Arbeit an diesem und ähnlichen Bildern, daß es für mich sehr schädlich ist, mich derart selbst zu beobachten, und rechtzeitig zu merken, wenn ich anfange darüber nachzudenken, was eigentlich im Bild passiert, und lieber einen Spaziergang zu machen, statt mich auf diese Art und Weise selbst zu behindern, denn das habe ich damals getan.

Es ist also nicht so, daß im allgemeinen bei den Bildern das dermaßen kunterbunt durcheinandergeht und schwierig ist, wie ich Ihnen das an diesem Bild jetzt vorstelle, sondern nur deshalb, weil ich damals so blockiert war, war es auch derartig schwierig. Zunächst einmal, müssen Sie sich vorstellen, fängt es ja mit der leeren Leinwand an, ganz weiß.

Das wäre auch das erste Dia gewesen, damit man das wirklich vor Augen hat, es ist einfach eine weiße Fläche, nicht mehr. Und da fängt das Problem eigentlich an, das die heutigen Künstler in sehr viel stärkerem Maße haben als etwa in der Renaissance, denn die Künstler haben ja heute kein eigentliches Thema mehr, sie haben keine Auftraggeber, Leonardo z.B. hatte nie so ein Problem, ihm war immer klar, was von ihm verlangt wurde. Sehr häufig ist es sicherlich so daß die Künstler sich ein eigenes Thema suchen und das dann also durcharbeiten, uns sind alle Fälle bekannt. Ich habe früher auch so gearbeitet und war sehr unzufrieden dabei. Ich habe später dann erfahren, daß es sicherlich daran liegt, daß ich nichts Neues erfahren konnte auf diese Art und Weise, sondern immer nur das, was ich selber vorher auch schon wußte, dann nachher auch anschaubar vor Augen hatte.

Ich arbeite seit über 10 Jahren anders, ich fange mit tatsächlich nichts an. Die leere weiße Leinwand, nehme einen Pinsel, tunke ein und fange an zu zeichnen. In diesem Falle war es so, daß also nach vielleicht 5 Minuten eine Zeichnung auf dem Bild war, dieser Kopf war schon da, die Figur war aber anders, es saß da eine Frau, nackte Frau mit gespreizten Beinen, die Brüste ganz unterm Kinn, auf einer männlichen Sphinx, die über das ganze Bild ausgebreitet war und nach links rausschaute.

Das war nun ein ganz anderer Anfang als das, was Sie jetzt sehen, ganz offensichtlich, und im nächsten Dia konnte man dann sehen, daß ich also schon daran korrigiert hatte, z.B. das Gesicht der Sphinx gefiel mir nicht, dann habe ich die Nase verändert, und dies und das und wurde immer schwärzer und schmuddeliger und im Laufe der Arbeit stellt sich dann heraus, das stimmt überhaupt irgendwie nicht, das kann ich auch mit allen Tricks nicht mehr hinkriegen, das kann mich nicht überzeugen, das muß weg.

Und dann entstehen also neue Figuren, ich will das im Einzelnen jetzt nicht ausführen, sondern Ihnen nur an einer bestimmten Stelle nochmal etwas deutlicher machen, worum es eigentlich ging.

Wenn man insbesondere diese auffälligen Tiere hier in der Mitte sieht, dann mag man zu dem Schluß kommen, also das ist doch nun sicherlich ausgedacht, der Fisch schwimmt im Wasser, die Schlange kriecht auf dem Land, der Vogel fliegt in der Luft, das Ganze ist kreisförmig angeordnet, das sieht nach Konstruktion aus. Aber tatsächlich hab ich mir das nicht ausgedacht, wie gesagt, das hätte mich wahrscheinlich auch nicht befriedigt, sondern gelangweilt, sondern die Sache war an der Stelle sehr, sehr schwierig.

Es ist klar gewesen, daß da irgendwas hingehörte, da war also nichts weiter, ich hab alles mögliche probiert. Ich war also völlig ratlos und habe damals also wie gesagt also versucht, auch durch Denken an die Sache ranzukommen, irgendwas mußte die Dame ja nun machen, die stand da irgendwie, die Hände überzeugten mich nicht, wie macht man das, wie legt man eine Hand auf die Hüfte oder so, und sie kann mit dem Finger zeigen oder sonst irgendwas machen oder die Hand ganz anders tun, ich hab alles mögliche ausprobiert, das war einfach alles Käse, man sieht das einfach, daß das nicht in Ordnung ist.

Und eines Tages passierte etwas, was ich auch gar nicht begriffen habe erstmal, ich war dermaßen erschöpft und angestrengt, daß diese bewußte Kontrolle für einen Moment aussetzte, und in dem Moment passierte es, da kam es; die Frau hatte ganz zu Anfang, als ich noch locker war, meistens ist es zu Anfang einfacher, wenn ich ganz locker bin, dann kommen die Dinge so raus, und nur, wenn ich mich verbeiße, dann wird es schwierig, da hatte die Frau so eine Art Eichenblatt in der Hand, und ich hatte also einiges probiert und fing dann wieder mit dem Eichenblatt an und probierte dann eine Blume, und dann wurde, ohne daß ich also wirklich was mitkriegte, ich war wie gesagt etwas beeinträchtigt in meiner Aufmerksamkeit, da wurde dieser Stengel immer dicker, und plötzlich war die Schlage da, so wie Sie sie jetzt sehen.

Ich wich also quasi zurück vor der Leinwand, weil die Schlange mich so beeindruckte, wenn ich eine Schlage hätte malen sollen, wäre sie sicher nicht so überzeugend gekommen, und da war ich natürlich ganz froh. Ich wußte nicht, wie ich zu der Schlange kam, aber sie war da.

Dann dachte ich, damit hab ich mein Problem gelöst, ich mache den Schwanz länger, dann hält die mit der anderen Hand auch den Schwanz, habe ich das Problem der anderen Hand auch gelöst, und dann wird auch hier dieser Freiraum auch ausgefüllt, dann habe ich einen Kreis, was natürlich ein vieldeutiges Symbol ist, die Schlange, die sich selbst sozusagen in den Schwanz beißt, und damit sind alle meine Probleme auf einen Schlag erledigt.

Aber das Ganze sah einfach nicht richtig aus, das sah man sofort, das war Käse. Dann hab ich gedacht, da muß eben noch ein Schlenker rein, das Ganze irgendwie noch lebendiger gemacht werden, hab ich alles probiert, es war nichts. Dann hab ich schließlich den ganzen restlichen Schwanz wieder weggemacht und hatte dann sogar Angst, daß diese kurze Schwanzspitze vielleicht nicht ganz so überzeugend kommen könnte, wie die zu Anfang war.

Am nächsten oder übernächsten Tag, während ich also wieder mich auf die andere Hand konzentrierte und nicht weiterkam, passierte wieder was ganz ähnliches, ich sackte ab, bums: saß der Vogel da. Da war ich wieder sehr froh, aber das Problem mit der anderen Hand war immer noch nicht gelöst, und da habe ich das einzige Mal dann etwas probiert, was ich selber sonst nie so anwende, aber was ich von einem Freund kannte, der 20 Jahre älter war als ich, und dessen Methode so aussieht, daß er einfach seine Hand laufen läßt, und dadurch entstehen natürlich Linien, und dann guckt er sich die an und sagt: bis dahin ist das heilig, der Rest ist Käse, den macht er wieder weg, und arbeitet so lange, bis das ganze Bild aus lauter heiligen Linien sozusagen besteht.

Das hab ich damals auch gemacht, für mich war erstaunlich, daß also Linien ähnlicher Charakteristik und Qualität herauskamen wie bei ihm, aber erstmal war das gar kein Weg. Es wurde immer dunkler und immer schwärzer, und dann hab ich wieder alles weggemacht und hab nochmal angefangen, und da plötzlich sah ich in diesen Linien, die da produziert waren, einen sehr abstrakten Fisch, und an dieser Stelle hab ich dann auch gemerkt, daß mein Film gar nicht eingezogen war, daß ich mit der Kamera, mit der ich 5 Jahre gearbeitet hatte, den Film irgendwie so ungeschickt eingelegt hatte, daß diese ganzen Fotos mit der Geschichte mit der Schlange, wie ich Ihnen das eben erzählt habe, das was sehr hochdramatisch war, daß das gar nicht dokumentiert ist.

Und ich glaube im Nachhinein, das war auch ganz gut so, ich habe den Tip auch einigermaßen verstanden, jedenfalls von diesem etwas abstrakten Fisch existiert noch ein Foto. Den habe ich dann weggemacht und dann, zack-zack entstand dieser Fisch, so wie Sie ihn da sehen, und das ist ja auch kein Fisch, den man einfach so erfinden würde, wenn einem die Aufgabe gestellt würde: malen Sie mal einen Fisch! Sondern eine sehr eigene Erfindung.

Damit war das Bild noch nicht fertig, es ging dann noch weiter, was ich Ihnen damit sagen wollte, ist, daß das Problem für einen Maler darin besteht, das Bild kommen zu lassen.

Sie haben eben im Vortrag von Herrn Flemming etwas über Rembrandt gehört, ich habe mich unter anderem auch mit Rembrandt sehr beschäftigt oder Leonardo, Sie wissen wahrscheinlich, daß er 4 Jahre an seiner Mona Lisa gemalt hat und sie dann als unfertig erklärt hat, man mag sich doch fragen: was macht der eigentlich die ganze Zeit da, oder Rembrandt wurde vorgeworfen in seinem Spätwerk, daß er also so wahnsinnig lange an seinen Bildern arbeite und die immer dicker würden und das aussähe wie die Arbeit eines Maurers, der den Putz an die Wand wirft, was macht eigentlich ein Maler bei der Arbeit?

Sie müssen sich vorstellen, daß mit jedem Strich, den der Maler macht, sich das ganze Bild verändert. Es fängt an mit der weißen Leinwand, und es ist die ganze Zeit nichts. Immerzu ist das nichts Halbes und nichts Ganzes, nichts Ordentliches, und solange es noch nichts ist, arbeitet der Maler weiter. Mit jedem Strich, den er macht, verändert sich das Bild, es ist dauernd im Fluß, bis dann nachher durch die Arbeit der Hand, nicht des Kopfes, durch die Arbeit der Hand etwas für den Maler Überzeugendes herauskommt, etwas, was ihn selbst befriedigt, was ihn ergreift, und dann ist das Bild fertig.

Und im Falle von Leonardo kann man wohl daraus schließen, daß er selber noch nicht ganz befriedigt war mit dem, was er da vollbracht hatte. Ich habe im Unterricht manchmal Gelegenheit gehabt, Schülern dieses Erlebnis zu vermitteln, etwa wenn sie sich vor den Spiegel setzten und ein Selbstporträt machten, was sie dann feststellten, wenn sie etwa den Mund malten, zeichneten, daß sie, wenn sie irgendeine Linie um einen Millimeter oder nur den Bruchteil eines Millimeters verschoben, daß dann der ganze Ausdruck total verändert wurde. Und das ist das, womit ein Maler täglich zu arbeiten hat, er setzt Farben, Linien und ständig verändert sich alles, manchmal sehr dramatisch, manchmal nur geringfügig.

Wenn das Bild dann fertig ist, dann fängt es an, ein Eigenleben zu führen, dann kann ich als Produzent auch einen Bezug zu dem Bild finden und Stellung dazu nehmen, kann mir überlegen, was das eigentlich ist auf dem Bild, ich schaue genau hin, lasse es auf mich wirken, und dann fallen mir vielleicht auch manche Dinge auf, ich bin immer sehr vorsichtig dabei, Interpretationen zu geben, im allgemeinen laß ich die Bilder einfach auf mich wirken, denn Bilder sind etwas, das über das Auge wirkt und nicht über die Sprache.

Ich versuche also nicht, das in Sprache zu übersetzen, sondern ich versuche möglichst genau zu sehen, was ist auf dem Bild drauf, es fängt an mit einfachen Gegebenheiten, so und so viele Figuren, und es geht dann sehr schnell zu Dingen, die gar nicht verbal faßbar sind, etwa der emotionale Ausdruck, oder die Art der Beziehung, die zwischen den Personen bestehen usw.

Herr Dr. Benz und auch Herr Flemming haben hervorgehoben, daß die Bilder etwas über Beziehungen aussagen eines Menschen zu sich selbst und zu anderen, und in der Weise sind die Bilder für mich auch ein Instrument, um etwas über mich zu erfahren und über meine Beziehung in der Welt, zu anderen, ich fühle mich nicht nur verbunden der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit, und möglicherweise ist auch sehr vieles aus unserer gesamten Entwicklungsgeschichte in diesen Bildern drin.

Ich möchte Ihnen wünschen, daß Sie selber beim Betrachten der Bilder für sich auch Gewinn davontragen, Vergnügen und Genuß. Ich danke Ihnen.




 226 in besserer Auflösung


 




 English   Top


server time used 0.2539 s