Zur Bedeutung des Holzschnitts
Rede über Werknummer 284, Düren 23.1.1983, Eröffnung Leopold-Hoesch Museum
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Dr. Eimert, meine lieben Freunde!
Ich möchte Ihnen zunächst die Musiker vorstellen, denn entgegen der Ankündigung, Sie werden es gemerkt haben, spielen Erhard Hirt, Gitarren, und Jochen Twelker, Perkussion, aus Münster improvisierte Musik.
Ich bin sehr stolz und dankbar, Ihnen in diesem Hause meine Bilder präsentieren zu können und hoffe, daß Sie schon etwas Gelegenheit gehabt haben, sich umzuschauen. Vielleicht ging es Ihnen auch so, daß Sie sich gefragt haben, was hat der sich wohl dabei gedacht? Dazu möchte ich einiges sagen und beziehe mich dabei auf den Holzschnitt der Einladung, den Sie alle kennen und vielleicht sogar in Händen halten.
Wie immer, und dies ist für Außenstehende mitunter unverständlich, habe ich mir bei der Arbeit rein gar nichts gedacht. Ich hatte den Holzblock zugeschnitten, fing an zu zeichnen, korrigierte kaum, war befriedigt von der Zeichnung und fing an zu schneiden. Die Probedrucke gefielen mir auch, und damit war der Fall für mich erledigt. Ich bin Frau Köhler vom Museum sehr dankbar, daß sie mich bedrängt hat zu erklären, was das Blatt denn nun bedeute, sie selbst hatte sich jedenfalls schon Gedanken* gemacht. Daraufhin beschrieb ich das Bild, und dann stellte sich auch unversehens eine Deutung ein.
Ich beschreibe nun in der Reihenfolge der Entstehung. In der Mitte sitzt eine nackte, reife Frau ganz gelassen, keine Illustriertenschönheit, sie ruht in sich selbst, schaut nach innen, ganz in Einklang mit sich selbst, verinnerlicht. Sie ist sich der Szenerie um sie her bewußt.
Der schwarze Mann in Uniform dagegen scheint nichts wahrzunehmen, ist ganz verspannt, starr, seine Füße sind barfuß, die Hände gefesselt, der Mund verzerrt, die Augen von einer großen schwarzen Brille bedeckt. Insbesondere scheint er nicht zu bemerken, daß er gebunden ist an den weißen Mann, der ebenfalls nackt ist und teuflische Züge trägt und ganz vital, gar spannungsgeladen erscheint, mit Leichtigkeit seine unbequeme Stellung hält, möglicherweise sogar herumturnt. Der Weiße scheint zu sprechen, er zeigt mit dem Finger nach oben.
Rechts liegt eine Kuh, sie schaut den Betrachter an, ist ganz da, wie Tiere das zu tun pflegen. Ihr Haupt ist geschmückt, dazu umgeben von einem großen Heiligenschein. Dann gibt es noch einiges an Staffage, über das ich jetzt nichts sagen möchte.
Nach der Beschreibung fiel mir nun eine Deutung ein. Sie ist sicher nicht erschöpfend - es ist ja auch die Frage, ob Bilder überhaupt in Worte übersetzbar sind. Jedenfalls scheint sie mir dem Bild nicht Gewalt anzutun.
Ich beginne mit dem schwarzen Mann, der offensichtlich Probleme hat. Insbesondere ist die Bindung mysteriös, und da scheint mir, daß es sich gar nicht um zwei Personen handelt, sondern um eine einzige: Der Weiße ist ein Teil des Schwarzen und zwar das sogenannte Böse, d.h. der unbewußte, unterdrückte, verdrängte Teil, in psychologischer Terminologie heißt er der Schatten. Interessanterweise ist er nicht schwarz, sondern weiß, wirkt auch nicht böse, sondern einfach lebendig.
Dies scheint mir der Schlüssel zu sein: Der Schwarze ist deshalb in seiner verteufelten Lage, weil der andere Teil, an den er ja gebunden ist, dem er nicht entkommen kann, verdrängt ist. Die Frau hat diese Probleme nicht, zeigt sich vielmehr integriert, wie ja diese Zerquält- und Zerrissenheit eher Männern zugeschrieben wird.
Die Kuh zeigt als Metapher die Lösung des Konflikts: sie ist eine heilige Kuh, eine Synthese von heiligen und animalischen Elementen als Sinnbild für den Weg, den wir Menschen alle gehen müssen: Die spirituellen und animalischen Seiten, die guten und die bösen, in uns zu akzeptieren und zu integrieren.
Das Blatt zeigt also auf der linken Seite das Problem, auf der rechten die Lösung. Das war für mich höchst überraschend und beglückend, denn wie gesagt, ich hatte nichts und schon gar nicht dergleichen beabsichtigt. Ich könnte es mir nicht einmal ausdenken, geschweige denn illustrieren. Nun glaube ich nicht, daß die Wirkung von Bildern davon abhängt, daß man sie analysiert hat, wiewohl dies einem einen besseren Zugang eröffnen kann. Ich selbst bin meistens mit dem bloßen Betrachten zufrieden und viel zu faul, mir auch noch Gedanken zu machen.
Trotzdem war mir schon lange klar, daß in den Bildern etwas zur Entwicklungsproblematik ausgesagt wird, daß der Weg zur Menschwerdung geschildert wird. Da ich nicht anders bin als andere Menschen, wird es sicher einige geben, die diese Bilder ebenso ansprechen und berühren wie mich, und so möchte ich Ihnen in diesem Sinne Vergnügen, Genuß und Bereicherung wünschen. Ich danke Ihnen.
* Sie hatte 1200 Briefe eingetütet, vor Weihnachten. Daher assoziierte sie die Heilige Szene. Es gab nur ein paar Fragen: Wo war Jesus? Wieso war Maria nackt? Warum hatte die Kuh einen Heiligenschein? Wieso war Joseph gefesselt? |