Über den Kunstgenuß
Rede Bonn 22.1.1984, Kelterhaus Muffendorf
Sehr geehrte Damen und Herren,
Kunst in dieser Zeit - ist das ein Anachronismus? Was kann uns Kunst heute bieten?
Schaut man auf die öffentliche Resonanz, die Museumsanstrengungen, die großen Ausstellungen, die Medienbeachtung, das private Engagement, bescheiden oder in großem Stil, so besteht kein Zweifel: Kunst ist nach wie vor sehr wichtig und unersetzbar.
Kunst ist allerdings nicht gleich Kunst. Medien und Museen kümmern sich fast ausschließlich um die sogenannte Hochkunst, während das Publikum mit eben dieser eher Schwierigkeiten hat.
Nun ist Kunst sicher nicht für die Masse, obwohl sie "der Menschheit" gehört und im Prinzip jedem zugänglich sein sollte - nur hat sich Kunst nicht dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu unterwerfen.
Die Wertschätzung, deren sich die Hochkunst erfreut, und die sich auch in dem einzigen Maßstab ausdrückt, den unsere Gesellschaft hat, dem Geldwert, gründet sich auf Leistungen, die wie jede andere auch bewertet wird.
Dabei führt Epigonentum strikt zur Abwertung - Epigonales aber ist leicht verdaulich, daher auch publikumswirksam. Die echte Kunst ist, wie jede Spitzenleistung, eine Sache von wenigen. Es gibt nur wenige große Künstler, und nur wenige, die deren Arbeit verstehen und genießen können.
Vielleicht mag Ihnen dieses überpointiert erscheinen. Der Vergleich mit der Musik zeigt dort dasselbe Phänomen, und der Schriftsteller Arno Schmidt beantwortete den Vorwurf, mit anspruchsvoller Literatur elitär zu sein, mit der Feststellung, daß die Lesefähigkeit allein nicht bedeuten kann, daß jedem Lesekundigen jeder Inhalt zugänglich sein muß.
Eine besondere Schwierigkeit bei der Wertschätzung von Kunst besteht darin, daß i.a. Bilder und Skulpturen sehr schnell erfaßbar sind. Im Gegensatz dazu erfordert der Genuß von Musik und Literatur seine Zeit - es wird meist übersehen, daß dies für Bildwerke ebenfalls zutrifft.
Diese Erfahrung machen nur die wenigsten Menschen, insbesondere die, die Kunst besitzen. Ein Museum nämlich läßt Kunsterfahrung und Kunstgenuß nur selten und in stark eingeschränktem Maße zu. Man müßte schon regelmäßiger Besucher sein und sich auf sehr wenige Bilder beschränken, jeweils viel Zeit investieren, und hätte dann doch nicht die Vertrautheit, die sich einstellen würde, wenn man mit den Objekten leben könnte.
Denn Kunst ist als Wesensmerkmal Privatheit eigen: der Künstler gibt sich ganz, der Betrachter verliert sich ganz, öffnet sich, empfängt. Die Wirkung von Kunst entwickelt sich zwischen einzelnen Menschen, und selbst da nicht immer und zu jeder Zeit. Viele Leute kennen ein geliebtes Musikstück kaum wieder, wenn es unpassend gespielt wird, und auch dem Künstler ergeht es nicht anderes: in Beckmanns Tagebüchern können Sie nachlesen, daß er es als Sternstunde notiert, wenn ihm vor alten eigenen Bildern wieder die Augen auf- und übergehen.
Wir haben heute allerdings die Möglichkeit, die Weltkunst in Bildbänden ins Haus zu holen und durch das Buch jene privat- und Vertrautheit zu erlangen, die der Besitz des Originals gewährt. Doch auch das erweist sich als Krücke, ebenso wie andere Reproduktionstechniken: die Wirkung des Originals ist unnachahmlich und unersetzbar.
Heute kommen Sie hier in den unmittelbaren Genuß von Originalen, doch leider nicht nur in einer Museums-, sondern auch noch in einer Vernissagen-Situation. Da die Dinge nun mal so sind, gilt es, dies in Rechnung zu stellen und das Beste daraus zu machen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bisher nicht gesagt, was es denn nun ist, das die Kunst zu bieten hat. Man kann sicher einiges dazu sagen; ob das viel hilft, sei dahingestellt. Denn der Zugang zur Kunst führt nicht über Worte, sondern über das Erleben der Werke selbst. Musik kann nur durch Hören, Kunst nur durch Sehen erfahren werden. Der Umgang mit den Werken selbst schult, sensibilisiert, läßt reifen. Und: der Kunstgenuß regt i.a. nicht zur Mitteilung an, weil er nicht mitteilbar ist.
Ich danke Ihnen.
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