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Bathseba von Picasso

Ursprünglich auf englisch veröffentlicht unter » Joe's Art Journal No. 7, Sep 10, 1998  zurück



Sie wissen inzwischen, daß ich Rembrandt liebe. Ich liebe auch Picasso. Ich besitze mehr Bücher über Picasso als über Rembrandt. Natürlich gibt es auch mehr Bücher über diesen auf dem Buchmarkt. Picasso ist viel umstrittener als Rembrandt, der seit Jahrhunderten tot und ausdiskutiert ist. Picasso ist immer noch rätselhaft und wird erst langsam erschlossen. Er ist bei weitem nicht so populär wie beispielsweise der arme Vincent van Gogh. Die meisten Leute glauben, daß er sich über das Publikum lustig machte. Ich zitiere aus » Daily Drawing 1.26:



Im allgemeinen glaubt man, daß der moderne Künstler ein Stümper ist, der sich über das Publikum lustig macht, und die Leute fühlen sich deshalb natürlich unwohl. Es gibt unendlich viele Geschichten über dieses Thema, eine der letzten trug sich letztes Jahr zu: Ein dänisches Kleinkind im Vorschulalter wurde mit einem bedeutenden Preis für abstrakte Malerei ausgezeichnet. Das ist mit Sicherheit ein Problem, denn die Experten konnten Werke von reifen Künstlern nicht von dem eines Kindes unterscheiden, das mit Sicherheit keine künstlerischen Absichten verfolgt. Deshalb steigert sich die allgemeine Verunsicherung durch solche Vorkommnisse. Man kann zum Beispiel bei El Quatre Gats nachlesen, wie verwirrt, sogar wütend die Leute über Picasso sind (Link inzwischen tot).


Ich beschäftige mich mit Picasso ebenso lange wie mit Rembrandt. Er lebte noch, als ich den ersten Überblick über sein Gesamtwerk bekam. Im Jahr vor seinem Tod 1973 wurde das erste Buch über sein Alterswerk veröffentlicht. Damals war ich noch Student und kaufte das Buch, obwohl es mein Budget sprengte. Ich urteilte damals nicht, sondern versuchte zu verstehen. Ich wußte, daß es schwierig ist, jemandem in Bereiche zu folgen, die zuvor unbekannt waren. Hätte ich mir eine Meinung über ein Genie bilden können? Später fand ich heraus, daß andere durchaus darüber urteilten, und schließlich konnte ich es auch.



Im  Art Journal 1.3 hatte ich Picasso schon erwähnt:



Picasso ist berühmt dafür, Verzerrungen nach Belieben einzusetzen, um Gefühle auszudrücken, die man anders nicht hervorbringen kann. In seinem Fall waren es überwiegend negative Gefühle, wie in Guerníca, aber es gibt bei ihm auch positive, so wie Liebe und Zärtlichkeit, die man häufig in seinen Porträts von Marie-Therèse findet.


Viel verdanke ich John Bergers "Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso". Er behauptet, daß Picasso sehr unter der Abwesenheit von Kritik, selbst von Freunden, litt. (Ein kurzer Satz aus dem kürzlich gesehenen Film "Good Will Hunting" fällt mir dazu ein: "Hast du einen Freund? Einen wirklichen Freund? Einen, der dich herausfordert?"). Heute versuche ich, Ihnen so gut es geht zu zeigen, inwieweit Picasso mit Bathseba scheiterte.



Es gibt viele Bücher von Freunden über die letzten Jahre Picassos, insbesondere von Françoise Gilot und Hélène Parmelin, die Picasso ausgiebig zitieren. Es ist offensichtlich, daß er manchmal nicht weiß, was er malen soll. Er beneidet sogar van Gogh, weil der angeblich neue Themen habe erfinden können, was lächerlich ist, da dieser selbst unter Themenmangel litt. Oft greift er deshalb zu Paraphrasen und rechtfertigt das auch vor sich selbst. Ich rekonstruiere aus dem Gedächtnis: "Überhaupt, was ist ein Maler? Ein Sammler, der sich die Werke, die er haben möchte, nicht leisten kann, und sie deshalb selber malt. Aber was immer ich tue, ich verderbe es und heraus kommt ein Picasso."



Das ist ja in Ordnung, es muß ja ein Picasso werden. In seiner Jugend imitierte er viele Maler und produzierte großartige Picassos. In seinem Alter machte er viele schlechte Gemälde. Er nahm sich Manets "Déjeuner sur l'Herbe", Delacroix' "Frauen von Algier", Velasquez' "Las Meninas" vor, um nur einige und die berühmtesten zu nennen.



Rembrandt hat er sich zweimal für Gemälde vorgeknöpft und nur jeweils eine einzige Paraphrase produziert, im Gegensatz zu den anderen Malern, über deren Werke er riesige Serien herstellte. Das eine der beiden war Bathseba, das andere ein Selbstporträt mit seiner neu angetrauten Ehefrau Saskia, wobei Rembrandt als der "verlorene Sohn" aus dem berühmten Gleichnis des Neuen Testaments posiert.



Picassos Fassung des verlorenen Sohns ist auf den 13. März 1963 datiert und mißt 130x162 cm, während Rembrandts Bild aus dem Jahre 1636 ist, die gleichen Maße hat, aber gedreht ins Hochformat. Es hängt in Dresden. Offensichtlich projiziert Rembrandt die tiefe Geschichte der Bibel auf sein persönliches Schicksal, nur scheinbar glücklich im Anfang, voll von Hinweisen auf die Fülle des Lebens. Der verlorene Sohn verschwendet das Erbe seines Vaters, landet im Elend, kehrt wieder nach Hause zurück und wird von seinem Vater mit offenen Armen empfangen, sehr zum Mißfallen seines braven Bruders, der zu Hause geblieben war.



Dieses Gleichnis führt uns vor Augen, daß man sein Elternhaus verlassen muß, um die Welt zu erkunden und unvermeidlich Schiffbruch zu erleiden, so daß einem nichts anderes übrig bleibt, als zerrissen und hocherfahren heimzukehren. Das war schließlich auch Rembrandts Schicksal. Sein Gemälde ist sehr tief, man kann sich sehr lange damit beschäftigen und sich darein vertiefen, aber das ist hier nicht unser Thema. Es gibt eine zweite Version dieses Gleichnisses, die er im hohen Alter geschaffen hat und die noch bewegender ist und nicht den Anfang, sondern das Ende der Geschichte zeigt, wie der Vater seinen verdorbenen Sohn liebkost, der zerknirscht vor ihm niederkniet.



Bereits ein schneller Blick auf Picassos Version zeigt, daß diese keinerlei Bedeutung hat. Wie kann ein Mann von 80 Jahren nach einem reichen Leben solch ein miserables, leeres, verwirrtes Stück abliefern? Es ist nicht einmal als reine Malerei gut, soweit das aufgrund von Reproduktionen beurteilt werden kann. Wenn es Sie interessiert, schauen Sie sich die Vergrößerung an (der ursprüngliche Link auf das » Online Picasso Project ist tot, das Projekt ist der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich, vermutlich auf Druck von Picassos Erben). Nun lassen Sie uns zu Bathseba zurückkehren. Hier werden wir die Diskrepanz noch drastischer sehen können.



Rembrandts Gemälde ist quadratisch mit 142 cm Seitenlänge, Picassos Version ist mit 140x195 cm etwa genauso hoch, aber viel breiter. Also braucht er mehr Platz, um zu zeigen, was er findet. Und was ist es?



Selbst wenn Sie sich die Vergrößerung anschauen, finden Sie nirgendwo eine interessante Formerfindung, nirgendwo eine außerordentliche Farbgebung, im Gegenteil, alles ist grob, brutal, leer, bedeutungslos. Es gibt sehr viele brutale, sogar grobe, aber großartige Gemälde von Picasso. Hier ist aber alles tot, ausgebrannt. Ein riesiger Aufwand für nichts.



Schauen Sie sich zum Beispiel die Leiden der Frau am Anfang an (Ausschnitt aus Picassos Guernica). Betrachten Sie jede Einzelheit in diesem Gesicht! Alles hat Bedeutung und steht im Zusammenhang mit dem Ganzen und unterstützt es. Hier nicht. Die Formerfindungen bedeuten nichts, sie überzeugen nicht, sie weisen auf nichts hin, was verborgen wäre und nur gezeigt werden könnte, wenn man es so machen würde. Alle diese Formen sind einfach nur mißlungen, beliebig, zusammenhanglos.



Vergleichen Sie diese Situation beispielsweise mit dem Gemälde des jungen Mannes, das im » Creative Journal 1.6 diskutiert wurde (Zozzy); Sie sehen zwar ebenfalls schwache Formen und derbe Farben, aber man sieht ganz deutlich, daß der Maler nicht täuschte, weder sich selbst noch uns. Er kämpfte und wußte es nicht besser, er muß seinen Weg erst noch finden. Picassos Gemälde ist das Werk eines alten, höchst erfolgreichen Malers, eines Genies, das schließlich am Boden zerschmettert wurde.



Eine der wenigen Auftragsarbeiten drängen sich ins Gedächtnis: Sein riesiges Gemälde für die Vereinten Nationen in Paris. Es wurde "Der Sturz des Ikarus" genannt und ist genauso peinlich, sogar noch mehr, da es öffentlich übereignet wurde. Es gibt Fotos, die Politiker und Berühmtheiten zeigen, die bemüht sind, angesichts dieser Situation nicht allzu dämlich dreinzuschauen. Zwischen ihnen Picasso, der offensichtlich nicht wußte, was er tat.



Diese Paraphrase eines der größten Bilder Rembrandts beeindruckt trotzdem, aber nicht wegen der Größe, sondern wegen der Niederlage. Welch ein Jammer! Dieses Gemälde beweist, daß Picasso scheitern konnte - er war eben auch menschlich, das ist nichts, was man besonders bemerken müßte. Es zeigt aber überdeutlich, daß Picassos Leben von Sinnlosigkeit gequält war, was für Rembrandt sicher nicht zutrifft.



Ich bezweifle allerdings nicht, daß wir dieses Gemälde eines Tages in einem unserer Museen als Beispiel für großartige moderne Malerei bewundern dürfen. Die Kritikfähigkeit in Bezug auf moderne Kunst ist extrem dünn. Kritiker und Fachleute gleichermaßen haben sich anscheinend noch nicht vom Schock am Ende des letzten Jahrhunderts erholt, als sie dünne, abgestorbene akademische Kunst unterstützt haben.



Dieses Phänomen ist wirklich bemerkenswert. Ich hatte den Eindruck, daß der Autor des Buches, dem ich diese Reproduktion entnommen habe, sich aus Respekt oder sogar auch aus Angst vor den Erben hat leiten lassen, da er ja offensichtlich wegen der Bildrechte von diesen abhängig ist. Dieser Tage verfolgt Picassos Sohn Claude einen amerikanischen Professor (Dr. Enrique Mallen), weil dieser eine umfassende Picasso-Datenbank aufbauen möchte (» Picasso - Museo Picasso Virtual). Claude ist als Erbe seines Vaters sicherlich reich genug, also sind es vielleicht seine Verleger, Grolier Interactive, die ihn zu diesem Rechtstreit drängen.



Aber wenn ich mir die Kommentare eines unserer bedeutendsten Kunsthistoriker wieder zu Gemüte führe, muß ich zu dem Schluß kommen, daß er wirklich meint, was er schreibt. Wenn man einfach nur höflich und schlau sein muß, braucht man sich nicht so zu prostituieren, wie er es tut. Und wenn das so ist, ist das Niveau unserer Kunstbetrachtung sehr niedrig, um es milde auszudrücken.



Vergleichen Sie die Situation mit der Musikwelt, die sich der traditionellen westlichen Musik widmet! Der Wettbewerb ist extrem hart, wird durch die modernen Konservierungsmethoden sogar ständig härter, Wettbewerbe werden weltweit abgehalten, und wenn ein neuer Star erscheint, hat er wirklich etwas zu bieten. Nehmen Sie zum Beispiel Anne-Sophie Mutter, die als Wunderkind von Karajan gefördert wurde.



Aber selbst bei moderneren Ausdrucksweisen, etwa Jazz oder Rock, kann man schnell beurteilen, ob ein Musiker auf seinem Instrument wirklich gut ist. Miles Davis war ein großartiger Instrumentalist, der immer wieder neue Stilformen entwickelt hat. Am Ende kann man seinen Verfall beobachten. Er starb plötzlich, deshalb wissen wir nicht, was uns sonst noch alles erwartet hätte. Aber selbst wenn er zweifelhafte seichte Melodien spielt, die man leicht kommerziell mißbrauchen kann, bleibt er doch ein Meister auf seinem Instrument und kann im Bruchteil einer Sekunde vom Kenner identifiziert werden.



Wir haben mit Rembrandt begonnen, lassen Sie uns seine Arbeit noch einmal für eine Weile vor Augen führen. Erinnern Sie sich noch, wie er die biblische Geschichte neu interpretiert hat, wie er die Tragik in ein Bild über eine Nebenperson umgewandelt hat, wie er die Tiefe des Lebens durch den Ausdruck dieser einen Figur zum Vorschein bringen konnte, wie seine persönlichen Gefühle und Erfahrungen sich mit der überlieferten Geschichte vermischt haben, wie er diese benutzt hat, um etwas über sich selbst herauszufinden?



Ich bin sicher, Sie werden dieses Gemälde nie vergessen.







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