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Das linke Auge, also ihr rechtes, ist dabei noch konventioneller, nur die weiße Iris statt der in Wirklichkeit schwarzen ist verblüffend, während das rechte Auge nicht nur etwas nach rechts oben verrückt zu sein scheint, sondern auch die üblichen Konventionen für Augen missachtet. Für sich genommen ist es eher ein Spiegelei.
Beim Malen habe ich mit Sicherheit nicht herumprobiert, aber jetzt kann ich das ja tun. Zunächst wollte ich die Asymmetrie testen. Also habe ich das konventionelle Augen gedoppelt und gespiegelt, das Spiegelei herausoperiert und durch das neue Auge ersetzt.
Das Ergebnis ist natürlich weniger irritierend. Die junge Frau schaut jetzt eindeutig in eine unbestimmte Ferne, durch den Betrachter hindurch, etwas besorgt, ob sie wohl wirklich vertrauen kann. Die Irritation ist weg. Das war ja auch zu erwarten. Ist das jetzt gut oder schlecht?
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Dann wollte ich die Position des anderen Auges, des Spiegeleis überprüfen. Es ist ja nicht nur die Form, die irritiert, sondern auch die Stellung. Dazu habe ich es nicht nur verschoben, sondern auch um beide Achsen gespiegelt (= Drehung um 180°), damit es mehr wie ein Auge aussieht und die Pupille an der Stelle erscheint, wo sie hingehört und wo man sie erwartet. Und nun muss man die Sache wieder auf sich wirken lassen. Ist damit etwas gewonnen oder verloren?
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Im Vergleich dazu ist das Original wesentlich konsistenter. Die Frau nimmt überhaupt keine Beziehung zum Betrachter auf, sondern zu etwas Transzendentem - so sage ich mal in Ermangelung eines besseren Ausdrucks. Während ihr rechtes Auge, also das linke, nach innen schaut, schaut das andere deutlich nach außen, nach oben, es strebt sozusagen weg von der materiellen Basis, es entfernt sich von der Stelle, an der es eigentlich sein sollte.
Im Gegensatz zu der manipulierten Version, die erdgebunden, abgeschlossen, persönlich, statisch wirkt, hat das Original einen deutlichen Sehnsuchtscharakter, es weist über sich selbst hinaus. Durch dieses scheinbar missglückte Auge bekommt die bangende, hoffende, erwartungsvolle Stimmung einen Weisungscharakter und eine dynamische, spirituelle Dimension, die der anderen Version ganz deutlich fehlt.
Und was ist nun mit meiner Assoziation zur Kore? Ich weiß doch eigentlich so gut wie nichts darüber. Was ist eine Kore? Wie kommt diese Assoziation zustande? Ist sie überhaupt berechtigt?
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Dazu haben die Experten erwartungsgemäß nichts zu sagen, oder genauer: sie äußern Trivialitäten, die mit Sicherheit nicht zutreffen. Interessant ist allerdings die ins Auge fallende Verwandtschaft zu ägyptischen Figuren (von denen die Griechen sie vermutlich übernommen haben), die ihrerseits manchmal ein ähnliches Lächeln zeigen. Außerdem findet man nach meiner Erinnerung eine solche Art Lächeln bei östlichen Bildwerken, die Menschen in Meditation zeigen.
Kann ich das belegen? Auf Anhieb habe ich bei Europeana ein brauchbares Beispiel gefunden; aber die Ägypter haben ja eine sehr lange Geschichte und sehr unterschiedliche Herrscher gehabt. Es gibt daher auch jede Menge Gegenbeispiele, Figuren, die einfach nur Machtbesessenheit oder Willensstärke ausdrücken. Auch die Meditationsfiguren lächeln weit weniger häufig als ich angenommen hatte. Die von mir erinnerten Beispiele konnte ich nicht finden und musste mich mit einem Beispiel zufrieden geben, das dem wenigstens nahekommt.
Das Lächeln der archaischen Figuren ist jedenfalls so auffällig und so stereotyp, dass es damit seine besondere Bewandtnis haben muss. Die Parallele zur östlichen Kultur gibt einen Hinweis: Die Kouroi lächeln nämlich nicht nur einfach still vor sich hin, sie lächeln vielmehr mehr oder weniger überirdisch selig. Warum das?
Insofern ist mein Beispiel der Kore nicht ganz optimal - so ganz entrückt selig lächelt die nicht, man bemerkt schon eine Anstrengung; die Wikipedia hält unter dem Stichwort Kouros dafür aber genug andere Beispiele bereit, die zeigen, dass mit diesem Lächeln nicht etwa nur der lebendigen Eindruck eines gesunden Jünglings erweckt werden soll - das wäre mit anderen Mitteln viel leichter zu erreichen gewesen. Diese Figuren sind ja ausgesprochen steif und geradezu unlebendig. Die griechischen Skulpturen der klassischen Periode wiederum bringen die blühende Jugend ohne Mühe zum Ausdruck, ohne zu einem Lächeln Zuflucht nehmen zu müssen.
Man kommt dem Rätsel leichter auf die Spur, wenn man sich bewusst macht, dass die gewaltigen Anstrengungen, die mit der Produktion solcher monumentalen Figuren verbunden waren, in der Regel mit religiösen Vorstellungen zu tun hatten. Bei den Ägyptern ist dies offensichtlich und allgemein bekannt, über die frühen Griechen wissen wir wenig und können deshalb nur spekulieren.
Auch damals wird eine solche Skulptur sehr teuer gewesen sein. Man macht so etwas nicht einfach zum Spaß, sondern aus sehr wichtigen und ernsten Gründen. Was könnten diese Gründe sein? Natürlich haben sich auch die Ägypter und die Griechen um ihr Seelenheil gesorgt. Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt, wenn man einmal hinter den Vorhang geschaut hat. Bei jedem jungen Menschen kommt eines Tages die Einsicht, dass das Leben nicht einfach vergeudet werden darf. Das ist ein religiöses Gefühl.
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Die junge Frau in meinem Bild lächelt gar nicht, insofern passt die Assoziation zur Kore überhaupt nicht, aber sie macht durchaus den Eindruck, als ob sie sehr aufmerksam ist und auf etwas horcht, wie die Kouroi, die sich ganz offensichtlich auf etwas außerhalb ihrer selbst beziehen, was man selbst heute noch erkennen kann, wo die Augen längst verloren sind und damit der Blick nicht mehr gedeutet werden kann.
Erstaunlich, was ich heute über dieses kleine und einfache Bild zu sagen weiß - ich hoffe doch, dass ich damit nicht gewaltig überinterpretiere. Immer wieder bin ich aufgefordert worden, mich zu meinen Bildern zu äußern, aber ich war dazu nicht in der Lage. Damals konnte ich nun schon gar nichts damit anfangen und hielt es nur für aufbewahrenswert.
Aber ich habe dieses Bild ja wie alle anderen selbst gemalt und die Frage liegt nahe, wie und warum ich es so und nicht anders gemacht habe. Das Spiegelei sitzt beispielsweise genau an der richtigen Stelle; wenn man das hin- und herschiebt, was dank der digitalen Bildverarbeitung kein Problem ist, kann man sich leicht davon überzeugen, dass dieses Auge nur dort richtig sitzt und auch diese Form haben muss. Dieses Auge ist weit aufgerissen, die Aufmerksamkeit liegt auf diesem Auge. Deshalb ist es unverzichtbar. Die Nasen-Augenbrauen-Linie unterstützt diesen Zug nach oben.
Kann man sich vorstellen, wie viel Mut und Vertrauen ich entwickeln musste, um mich auf solche Bilder einlassen zu können? Ich war doch von meinem ganzen Werdegang gar nicht auf so etwas vorbereitet. Und selbstverständlich habe ich damals nicht erkannt, was dieses Bild mir sagen wollte, was es überhaupt ausdrücken kann, was es definitiv ausdrückt, was ich ja gerade eben erst durch diese Untersuchung erfahren habe. Dieses Bild war für mich bis dahin nur eines von vielen auf dem Wege, merkwürdig, ganz nett, aber irgendwie unverständlich. Ich hatte keinerlei Rüstzeug, mir die Bedeutung dieses Bildes zu erarbeiten, und konnte es deshalb natürlich auch niemandem sonst vermitteln. Dieses Bild hatte wirklich keinen Freund.
Die Frage, woher diese mir fremden Bilder kommen, hat mich im Laufe der Zeit immer mehr beschäftigt, je mehr mir deutlich wurde, dass aus den Bildern etwas zu mir sprach, was mein Bewusstsein weit überstieg. Wer malt hier eigentlich so sicher und überzeugend? Eines ist klar: Diese Bilder sind nicht konstruiert, sie sind kein Ergebnis meiner bewussten Gehirntätigkeit, sie sind nicht Rekombination von bisher schon Gewusstem.
Die hier vorgetragenen Kenntnisse und Thesen über Koren und Kouroi habe ich mir gerade erst angeeignet und ausgedacht, und auch die von mir vage erinnerten selig lächelnden ägyptischen Statuen und Meditationsfiguren oder möglicherweise Fotos habe ich ebenfalls erst vor wenigen Jahren kennengelernt und mit Sicherheit damals noch nicht gekannt. Mit Meditation hatte ich nun schon gar nichts zu tun, und aus der Kirche war ich ausgetreten, als ich das Elternhaus verließ. Religion hielt ich für unverständlich und überflüssig.