180 cm - 71 inch
Werkgröße 130×99cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 64
Öl / Leinwand
22.12.1973 - 23.12.1973, » 130×99 cm (51×39")

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Kommentar
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Ein großes Werk, für meine Verhältnisse. Ein alter Mann im Sessel. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Was sollte das nur sein? Warum malte ich so etwas? Immerhin freute ich mich darüber, dass ich sowohl das Format als auch das Thema gut bewältigt hatte.

Damals habe ich mich mit » Arno Schmidt beschäftigt; ich dachte jetzt an » Abend mit Goldrand, aber das kann nicht sein, weil es erst 1975 erschienen ist. Vielleicht » Zettels Traum - aber das kann auch nicht sein, weil ich die Studienausgabe mir von einem befreundeten Kollegen, Studienreferendar wie ich, zur Verfügung gestellt bekam, und Studienreferendar wurde ich erst zum Schuljahr 1974/75.

Jedenfalls ließ Arno Schmidt sich über irgendwelche alten Männer aus und ich stellte mir vor, das mein armes Unbewusstes solches zu diesem Bild angestiftet hatte. Leider brachte mich diese Spekulation überhaupt nicht weiter. *

Bei Schmidt sind die alten Männer, wie er inzwischen einer war, schon ziemlich senil, und mein alter Herr ist schon fast scheintot. Über die Wikipedia habe ich von den » täglichen Zetteln erfahren und den Zettel des heutigen Tages aufgerufen:

Nummer: 2731

Oder kann man sagen:
daß auch beim Menschen
die S anfallsweise
erfolgt? nur kurzfristig &
kurzperiodiger als beim
Tier
a.a.O.

Tja, was einem so alles durch den Kopf geht, wenn der Tag lang ist und man sich wichtig nimmt. Vermutlich hatte ich » Kühe in Halbtrauer gelesen, auf jeden Fall aber » Sitara oder der Weg dorthin.

Seiner weitausgreifenden Theorienbildung setzt Pagenstecher die Krone auf, indem er erklärt, neben den drei von Freud behaupteten Instanzen der Persönlichkeit (Es, Ich und Über-Ich) noch eine „4. Instanz“ gefunden zu haben, eine psychische Instanz, die sich bei intelligenten Menschen ungefähr vom 50. Lebensjahr an bilde und die es übernehme, Sexualität, die real nicht mehr gelebt werden kann, in bewußt schalkhafte Wortspiele zu sublimieren, in witzig-doppeldeutige Anspielungen umzubiegen. Pagenstechers Kronzeugen für diese Theorie sind James Joyces Sprachbehandlung in „Finnegans Wake“ und Laurence Sternes anzügliche Wortwitze im „Tristram Shandy“.

» Lexikon der deutschen Literatur, Arno Schmidt: Zettels Traum (1970)

Au weia! Selbstverständlich merkt er nicht, wie peinlich das ist. Ich, ich, ich! Nur ich! Nun bin ich inzwischen selbst weit jenseits der 50 und weiß wie Picasso oder » Oswalt Kolle, dass auch seine Einsichten über die Sexualität einfach nur seine persönliche Erfahrung sind. Selbstverliebten Menschen macht das aber nichts aus, da sie sich selbst Welt genug sind und ihr eigenes Erleben unreflektiert verallgemeinern. Damals, als junger Mann, glaubte ich von solchen Leuten noch lernen zu können. Ach ja, die vertrauensselige Jugend!

Immerhin fiel mir auf, dass der von mir dargestellte alte Mann nicht nur alt ist, sondern auch böse und verbittert. Er wirkt geradezu wie ein Vampir, der aber auch nicht mehr so recht kann und deshalb darüber wütend ist. Das fand ich irgendwie doch ziemlich weit hergeholt - es hatte mit meinem Leben und mir nichts zu tun, soweit ich erkennen konnte. Und das sollte doch wohl die Voraussetzung sein - Bilder zu malen, die nur anderen Leuten und auch das nur eventuell bedeutsam erscheinen, konnte doch nicht die Richtung sein. Die Genugtuung darüber, diese Figur großzügig ins Bild gesetzt zu haben, war nicht genug.

Der Gesichtsausdruck und der Kopf allgemein gefällt mir immerhin ganz gut. Daraus spricht schon eine gewisse Reife. Ich habe keine Probleme mehr, einen glaubhaften Kopf locker hinzusetzen. Dabei sind Augen und Nase durchaus frei gestaltet, was aber der Integrität keinen Abbruch tut. Die Hand stört mich, die ist doch nun wirklich allzu puppenhaft und undifferenziert. Beim erneuten Betrachten, vor allem in der größten Auflösung, werde ich wieder ganz kleinlaut: Das Bild ist vielleicht doch nicht so schlecht, wie ich gedacht habe, sondern im Gegenteil recht gut. Ich müsste es mir mal für eine Weile an die Wand hängen und damit leben und meinen kritischen Geist zum Schweigen bringen, um das Gefühl urteilen zu lassen.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007

 





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