Ich halte diese Zeichnung für ein Selbstportrait. Nach wie vor bin ich mit der künstlerischen Qualität sehr einverstanden. Als Autodidakt habe ich es weit gebracht. Freilich sind mittelmäßige Gebrauchsgrafiker vermutlich wesentlich virtuoser, aber was will das schon heißen?
Mit Sicherheit habe ich kein Selbstportrait malen wollen, und ich saß auch nicht vor dem Spiegel. Irgendwie hatte ich wohl einen Stapel dieser farbigen Karten und habe ein wenig mit Tusche herumgespielt. Tusche lässt sich nun überhaupt nicht korrigieren. Eins dieser Blätter zeigte einen älteren Mann, der für mich den Eindruck eines Diplomaten machte. Da wurde ich sofort vom schlechten Gewissen geplagt.
Während der beiden letzten Jahre der Schulzeit hatte sich ein Lehrer für mich interessiert, Dr. Wilhelm Stadtländer. Er war Anfang der dreißiger Jahre nach Chile ausgewandert und wegen der zu erwartenden politischen Umwälzungen und zur Absicherung seiner Pensionsansprüche Mitte der sechziger nach Deutschland zurückgekehrt; seine Frau entstammte einer Großgrundbesitzerfamilie, der Enteignung drohte. Er schlug mir vor, Diplomat zu werden und wollte sich für mich verwenden. In Chile war er Verbindungsmann zwischen der Botschaft und der Schule und der Gesellschaft und verfügte daher über gewisse Kntakte. Google findet ihn auf einer Seite des Deutsch-Chilenischen Bundes:
|
1964 gehörte er zu den Preisträgern, und kurz danach muss er nach Deutschland übersiedelt sein. Anlässlich meines Abiturs hatte er mich zu einem Essen eingeladen und ich war im Laufe des Tages versackt und hatte ihn versetzt. Das war sehr unschön und unverzeihlich. Wir haben anschließend kaum noch Kontakt gehabt. Diese Diplomatenzeichnung nahm ich nun zum Anlass, ihm einen Brief zu schicken und sie ihm zu schenken. Natürlich hat er nicht geantwortet. Ich bin noch heute, 45 Jahre später, sehr beschämt.
Ihm verdanke ich viel in Bezug auf die Kunst. Er hat mir gezielt große Kunst gezeigt, und zwar im Original. Zunächst hat er mich in seinem Auto nach Braunschweig fahren lassen (obwohl ich noch keinen Führerschein hatte), um den » Vermeer im dortigen Museum zu sehen: » Das Mädchen mit dem Weinglas.
Dann hat er mich nach Berlin eingeladen, um mir drei Gemälde in der Dahlemer Galerie zu zeigen:
- » Madonna Terranuova, Maria mit Christuskind und zwei Heiligen (Zoom-Ansicht bei » Google Art Project), Tondo von » Raffael,
- » Der Mann mit dem Goldhelm (» Google Art Project), damals noch » Rembrandt zugeschrieben, und
- bei dem dritten bin ich mir nicht sicher, es könnte gewesen sein.
|
Er wusste das und bat mich schließlich, ganz nahe heranzutreten und mich zu überzeugen, dass das Gold lediglich Hühnerdreck war (ranzoomen mit Google Art Project).
Ansonsten verlor er keine Worte, sondern vertraute darauf, dass die Bilder ihre Wirkung schon tun würden.