Ich kannte nur wenig aus der Kunstgeschichte und hatte mich damit auch gar nicht beschäftigt. Auf einer ersten Sommerreise mit meiner neuen Freundin durch Skandinavien besuchte ich das » Moderna Museet in Stockholm und war wenig angetan. Insbesondere empörten mich zwei Werke von Klein, die später beide zu künstlerischen Protestreaktionen führten.
Die berühmten Naturschwämme, die er einfach auf eine Holzplatte montiert und anschließend gleichmäßig blau eingefärbt hatte, empfand ich als abgeschmackt. Das sollte ein bedeutendes Kunstwerk sein? Nur eine von den drei Arbeiten, die in Reaktion darauf Kunstschwämme benutzen, haben Eingang ins Werkverzeichnis gefunden - warum eigentlich? Möglicherweise waren die beiden anderen nicht mehr in meinem Besitz, als ich die fotografische Dokumentation begann.
Die sogenannten Anthropometrien Kleins andererseits, Abdrücke nackter Frauen, die der Künstler vorher blau angemalt hatte, ohne jeden anekdotischen Bezug, wo er also Menschen in ihrer Eigenschaft als erotische Objekte enterotisiert, instrumentalisiert und zum Werkzeug macht, führten zur gesprühten Umrisszeichnung meiner Geliebten Erika, die durch eine dicke Lage Nivea und eine Faschingsperücke geschützt war. Diese Perücke wiederum wurde anschließend in Werk › Nummer 6 verarbeitet. *
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Und wiederum drängen sich mir Assoziationen zu religiösen Vorstellungen auf, in diesem Fall zu Schweißtüchern. Das liegt zweifellos an der merkwürdigen Patina, von der ich gar nicht sagen kann, wie sie zustandegekommen ist. Es wird die natürliche Begleiterscheinung der Sprühtechnik gewesen sein. Man erkennt, dass ich zwei verschiedene Farben verwendet habe: Rot und Schwarz, um die Umrisse zu beschreiben. Wie der Bildgrund entstanden ist, weiß ich nicht mehr, aber er trägt sehr stark zur Aura des Werks bei.
Verglichen mit den Anthropometrien Kleins wirkt dieses Werk sehr intim, konkret, verbindlich, während seine Arbeiten demgegenüber abstrakt und willkürlich anmuten. Diese Frau könnte man liebkosen, seine Abdrücke nicht. Hier ahnt man die Haut und die Schönheit, bei ihm ist diese gar nicht vorstellbar. Seine Werke wirken distanziert, abgeklärt, unterkühlt, dieses Werk wirkt warm und naiv. Seine Bilder sind Artefakte eines Happenings, wo der Künstler im Smoking zu Kammermusik zur Unterhaltung des Publikums die nackten Frauen als stimmengesteuerte Pinsel benutzt, um die Autonomie und Künstlichkeit der Kunst zu beweisen. Mein Bild ist eine Liebeserklärung, entstanden in der Intimität der Zweisamkeit.
Dies war eins der Werke, die ein Jahr später anlässlich der Wohnungsauflösung vor der Übersiedlung in die USA versteigert wurde. Ich glaube nicht, dass ich den Erwerber gekannt habe. Anhand der Symbolfigur erkennt man, wie groß das Bild ist und wie groß die Frau, deren Abbild hier zu sehen ist. In unserem kleinen Zimmer war natürlich kein Platz dafür, aber für das so genannte Berliner Zimmer der großen gründerzeitlichen Wohnung, in der wir Studenten mit Freunden lebten, war es ideal: Ein großes Durchgangszimmer, mit dem eigentlich wenig anzufangen war, das einem solchen Bild aber sehr schön zur Entfaltung verhelfen konnte.
Ursprünglich hatte ich das Bild wohl nicht aufnehmen wollen, später aber dann meine Meinung geändert und musste es dann wegen der chronologischen Ordnung notgedrungen dazwischenschieben - deshalb die eigenartige Werknummer. Da ich alle Berliner Werke vor der Abreise fotografiert hatte, um sie verschiedenen Kunsthändlern anzubieten, und diese Dias die Zeiten ebenfalls überdauert hatten, konnten auch Werke dokumentiert werden, die inzwischen verschollen sind. Was aus diesem Bild wohl geworden ist? Ob es wohl immer noch existiert? Als wir nach einem Jahr aus den USA wieder zurückkamen und unseren alten Freunden in Berlin einen Besuch abstatteten, wusste niemand mehr etwas davon. * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007