180 cm - 71 inch
Werkgröße 42×30cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 45
Kugelschreiber / Papier
23.11.1973, » 42×30 cm (17×12")

» Kommentar

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Kommentar
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Aus dem weiblichen Kopf wird hier ein Paar, ein Kuss, die siebte Zeichnung vom Tage.

Picasso hatte ähnliche Sachen gemacht, vielleicht kannte ich damals schon das großformatige Alterswerk »Le baiser 26.10.1969 mit diesem Titel, das den Kuss als eher animalischen Akt zeigt, wobei in diesem Fall zusätzlich das ungeheure Erschrecken des Mannes über den Verlust der sexuellen Funktionalität zum Ausdruck kommt.

Demgegenüber begegnen sich hier unzweifelhaft eher zwei Seelen - das tiefe Schauen von Auge zu Auge ist wesentlicher als der Kuss selbst. * Ich lese dieses Paar als Mann (rechts) und Frau (links). Die Frisur der Frau wirkt überzeugender als die des Mannes, bei dem sich für mich die Assoziation einer orientalisch anmutenden Kappe einstellt.

Sehr merkwürdig ist die Figur rechts unten, die zwar für die Ausgewogenheit wichtig ist, aber keine erkennbare gegenständliche Bedeutung zu haben scheint. Auch die Wellenlinie, die die gemeinsamen Augenbrauen wiederholt und aus dem Bild hinausführt, ist eigenartig.

Das Auge des Betrachters wandert natürlich sofort und immer wieder zu den beiden Augen - die beiden scheinen sich fest in die Augen zu schauen. Während die übrigen Linien sehr viel Schwung zeigen, ist die Iris des Mannes eckig und das Augenlied der Frau deutlich kantig. Der Ansatz des Kugelschreibers an den beiden Stirnen ist etwas ungelenk. Vermutlich ist es eher das Ende, wo ich aus dem Schwung den Anfang zu treffen suchte.

Das Schwergewicht liegt in der oberen Hälfte, die untere ist aber ebenfalls sehr geschickt angelegt und behauptet sich gut. Mir liegt die Zeichnung im Moment nicht vor, deshalb kann ich nicht beurteilen, ob das Foto links etwas beschnitten ist. Auf jeden Fall werden Hände und eine Umrahmung angedeutet - das innige Zusammentreffen der beiden Köpfe setzt sich in den Körpern fort.

»  Femme en vert, 130x97cm · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
Vermutlich habe ich damals schon das Bild »Femme en vert (Dora Maar). gekannt, das ich als Doppelportrait von Mann und Frau gelesen habe. Soeben habe ich nachgeschaut: Es ist in dem Buch » Pablo Picasso. Gestalter unserer Zeit. (Hrsg. Lara Vinca Masini. Kunstkreis Luzern 1969) unter Nr. 35 als Frau in Grün verzeichnet (ich kenne keine weitere Abbildung). Anscheinend wird dieses Bild generell nicht als Doppelportrait beziehungsweise Doppelfigur gelesen. Könnte die Zeichnung von meiner Lesart beeinflusst sein?

Eher nicht, denn das Gemälde von Picasso hat inhaltlich ja überhaupt nichts mit dieser Zeichnung zu tun: Da küsst sich niemand. Am Kuss hat sich Picasso zwar oft versucht, aber die meisten dieser Arbeiten kannte ich damals noch nicht. (Eine Übersicht über dieses Thema habe ich erst jetzt durch den Ausstellungskatalog » Picasso: Die Umarmung. von 2000 erhalten - Vorsicht: die ISBN ist mehrfach vergeben worden!)

Bei ihm ist der Kuss ja oft ein bitterböser Kampf (z.B. »Le baiser (Deux têtes) 12.01.1931) oder absurdes Geschmier (z.B. »Le baiser II 28.11.1969 - freilich gibt es auch Ausdrucksvolleres: »Le baiser 24.10.1969 oder als Zeichnung: » L'étreinte III 20.03.1970), während hier weniger die formale Erfindungskraft als vielmehr die Innigkeit dieser Paarbeziehung deutlich zum Ausdruck kommt - abgesehen davon, dass ich als blutiger Anfänger und Autodidakt nicht über die Mittel verfüge, über die Picasso aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung gebietet. So haftet dieser Zeichnung auch etwas Naives und Unbeholfenes an, was nicht unbedingt störend ist (Picasso hat sich darum sein Leben lang immer wieder verzweifelt bemüht) und sich im übrigen bei zunehmender Erfahrung und Übung unvermeidlich verlieren muss.

Sehe ich recht (wie Kunsthistoriker zu sagen belieben), so möchten beide sich öffnen, haben aber Angst vor dann möglichen Verletzungen. Der Mann vertraut etwas mehr als die Frau, die sich eher zurückzuziehen scheint. Erkennt man die vom Mann erwartete offensive Haltung, der er sich verpflichtet fühlt, ohne sich zu trauen, während die Frau gemäß ihrem Rollenklischee diesem Drängen Passivität entgegenzusetzen hat, insgeheim aber vielleicht sogar mehr Draufgängertum erwartet?

Damals habe ich weder genau hingeschaut noch darüber nachgedacht. Heute bin ich erstaunt, wie dicht und ergiebig diese Zeichnung ist.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007
 
 
Da das Picasso Project seit spätestens 24.01.2011 gesperrt ist, führt ein direkter Link nicht mehr zum Ziel; daher bin ich gezwungen, die erwähnten Werke hier zu reproduzieren und berufe mich dabei auf » Fair Use bzw. das » Zitatrecht.

 





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