Das Format ist wie die Machart von Picasso geklaut, beziehungsweise genauer gesagt: vom französischen System. Denn in Frankreich gibt es, anders als in Deutschland oder sonst in der Welt, Standardmaße für Gemälde, und an diese Standardmaße hat sich Picasso normalerweise gehalten, wenn nicht gerade etwas Außergewöhnliches wie eine Auftragsarbeit anstand, beispielsweise das große Bild für den spanischen Pavillon der Weltausstellung, dessen Maße sich nach der vorhandenen Wand richteten (» Guernica).
Diese Uniformität der verwendeten Abmessungen muss jedem auffallen, der sich ein bisschen wie Picassos Werk beschäftigt. Offensichtlich verzichtete er bewußt darauf, seine Kreativität in dieser Hinsicht auszuleben. Das hatte er wohl nicht nötig. Mir hat das offenbar imponiert. Da mir die Maße weitgehend gleichgültig waren, bin ich gerne seinem Vorbild gefolgt.
Zurück zu diesem Bild: Wenn man so will, ist das eine naive Auseinandersetzung mit dem Kubismus. Bis heute habe ich nicht verstanden, was am Kubismus so toll sein soll. Vor ein paar Wochen habe ich ein Büchlein von » David Hockney entdeckt, in dem dieser den Wert des Kubismus als Künstler der nächsten Generation neu zu definieren versucht (» Picasso. Fünf Essays über Picassos Werk, ISBN 978-3929096033). Das hat mich nicht besonders überzeugt.
Der Kubismus war nach meinem Verständnis vor allem eine Brechstange, um aus dem Korsett des Naturalismus ausbrechen zu können. Als Methode ist er meines Erachtens wertlos. Die inhaltliche Leere kubistischer Arbeiten hat mich immer gestört.
In diesem Sinne ist das Bild wenig kubistisch. Diese Frau hat trotz aller manieristischen Konstruktionsmittel Persönlichkeit und Seele. * Sie sitzt in einem dunklen Verließ, ist wie mit Spinnweben eingesponnen und scheint über ihr trauriges Schicksal nachzusinnen. Ein Auge ist als Stern, das andere als Muschel gebildet, und an der Nasenwurzel findet sich ein kreisrundes Mal. Damals wusste ich sicher noch nicht, dass Hindus damit den Sitz des geistigen Auges kennzeichnen, mithilfe dessen man Kontakt zu Gott finden können soll.
Die Farben stammen alle aus dem warmen Erdbereich. Räumliche Modellierungen finden sich selten, räumliche Effekte kommen in der Regel durch Konfrontation geometrischer Flächen zustande. Diese sind vielfältig gemustert und ornamentiert. Neben der Gestaltung der Haarpracht, der Arme und Hände fällt vor allem die der ungleichen Brüste auf. Es finden sich auch Linien und Knoten, wie Picasso sie Ende der Vierzigerjahre eine Zeit lang zu lieben pflegte. Besonders bemerkenswert ist das dynamische pfeilartige Zeichen links von ihrem rechten Auge, das auf dieses zeigt und nicht in diese kubistische Konstruktion eingebunden ist.
Das Bild hat Rhythmus und Struktur, bietet schöne Farbklänge, ist lebendig gemalt, und je länger ich es betrachte, desto besser gefällt es mir, aber im Grunde ist es völlig absurd. Warum sollte man eine lebendige Person mit Gefühlen und Gedanken, Hoffnungen und Wünschen auf diese Art darstellen? So etwas kann man ja noch nicht einmal Darstellung nennen. Glücklicherweise wird in diesem Bild die Person nicht beschädigt, verhöhnt oder gequält, aber mehr kann man zu dessen Verteidigung nicht vorbringen. Kein Wunder, dass ich nicht richtig zufrieden war.
Außerdem konnte ich das Gefühl nicht loswerden, gar nicht begriffen zu haben, worum es beim Kubismus eigentlich geht. Dieses Bild wäre also nur eine Formübung, wie wir sie etwa in der Schule gemacht hatten, wenn es darum ging, mit den primitiven Mitteln von Tusche und Feder unterschiedliche Strukturen wie Holz, Fell oder Wasser nachzuahmen. In solchen Disziplinen würden Dekorateure und Illustratoren sich hervortun wollen - für Künstler musste es andere Ziele geben.
Kommentar Simulation Wohnumgebung Museumsszenario
Nachtrag 17.04.2011
Anlässlich der Konfrontation von › Nummer 161 mit » dem schwarzen Quadrat von » Malewitsch stieß ich auf » Ljubow Sergejewna Popowa, die mir bis dahin unbekannt war. Eines ihrer Bilder reizte mich zur Gegenüberstellung mit 38b.