180 cm - 71 inch
Werkgröße 100×79cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 36
Öl / Leinwand
04.11.1973, » 100×79 cm (39×31")

» Kommentar

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Kommentar 05.01.2011
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Dieses Bild ist ein Spaß! Man sieht den Maler im Spiegel. So ein Spiegel hing in unserem Schlaf- und Arbeitszimmer und war in rot und violett lackiert worden, wie alle Möbel in diesem Zimmer. Er schaut auf das Modell, das in einem unserer beiden Regiestühle vor der nicht sichtbaren Arbeitsplatte sitzt, die die ganze Fensterseite des Zimmers einnimmt.

Der Maler sieht das Modell von vorne, der Betrachter sieht es von hinten, aber er sieht es auch von vorne, im Original, wie es im Regiestuhl sitzt, mit dem Rücken zum Spiegel, in dem sich das Original scheinbar spiegelt - wenn da nicht die offensichtliche Diskrepanz in der Haarfarbe wäre.

Demnach müsste der Maler in der Position des Betrachters sein und sich damit im Spiegel spiegeln. Folglich ist der Betrachter der Maler. Die physikalischen Gesetze zeigen aber, dass der Maler nicht die Frau mit den grünen Haaren gesehen haben kann, wenn er sich selbst sieht. Folglich müsste links von ihm, außerhalb des Bildes, eine weitere Frau sitzen. Dort aber befand sich das Doppelbett. Die ganze Geschichte stimmt also vorne und hinten nicht.

Hinter dem Modell hängt ein Kalender an der Wand. Der hing da tatsächlich, ein Kalender mit Lithographien von Picasso. Wenn ich den noch haben sollte, könnte man überprüfen, ob zur Zeit der Entstehung des Gemäldes genau dieses Kalenderblatt dran war, was zu vermuten ist. Man kann sogar erkennen, dass es sich um ein Portrait von » Jacqueline Roque handelt. Dieser erste Picasso in einem meiner Bilder ist zweifellos auch eine Hommage an ihn.

Rechts davon sieht man Bücherregale und Aktenordner in bunten Farben - die hatte Erika selbst angemalt. Sie scheinen sich an derselben Wand zu befinden wie der Spiegel, was aber nach meiner Erinnerung nicht stimmt. An dieser Wand war nur der Kalender, die Regale befanden sich an der Fensterseite und wären aus dieser Sicht entweder gar nicht sichtbar oder aus anderer Perspektive zu sehen gewesen.

Der Fußboden ist summarisch in einem mittleren Ocker angedeutet; wir hatten einen Teil der Wohnung mit geflochtenen Fliesen aus Stroh ausgelegt. Die Regalbretter und die Schreibtischplatte waren violett gestrichen. Und darunter befanden sich Rollwagen, um die Schuhe aufzunehmen. An der Wand sieht man Bücherregale bis zur Decke. Das Bild ist also ebenso naiv realistisch wie Picassos Portraits seines Ateliers in der Villa Californie; lediglich der hochgezogene Fußboden hinter dem Stuhl ist unmotiviert und unrealistisch.

Die Rückansicht im Spiegel könnte wohl Erika zeigen, jedenfalls stimmt die Haarfarbe einigermaßen, während die Frau, die der Maler und Betrachter scheinbar direkt vor Augen hat, einfach nur ein Zerrbild ist, mit ungleichen Brüsten, einem gewaltigen Oberschenkel und Bauch, verkrüppelten Armen, einem verbrannten Gesicht und grünen Haaren, die den Beweis erbringen, dass das Modell nicht die Person im Spiegel sein kann.

Erfreulicherweise war Erika eine schöne Frau, sehr ebenmäßig gewachsen und gar nicht hässlich. Und grüne Haare hatte sie natürlich auch nicht. Die unübersehbare Hässlichkeit und willkürliche Missbildung dieser Frau hat mich von Anfang an irritiert und tut es noch heute. Offensichtlich habe ich mich aber nicht getraut, meine spontane Erfindung zu korrigieren. Und das war gut so. Ich musste mich ja langsam aus der Vorherrschaft des Intellekts befreien und lernen, mich der Intuition hinzugeben.

» Norman Mailer hat in seiner interpretierenden Biografie » Picasso. Portrait des Künstlers als junger Mann. ganz deutlich auf die Hässlichkeit vieler Frauen bei Picasso hingewiesen und behauptet, dass sich darin dessen Frauenhaß äußert. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe diese Bilder wie » John Berger als Ausdruck seines Leidens an der Sexualität. Dieser hat in seinem Buch » Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso auf die Ähnlichkeit seiner Zeichen- und Formerfindungen zu Toilettenkritzeleien hingewiesen, die aus Frustration zu beleidigen scheinen, wessen sie so dringend bedürfen.

So gesehen wäre diese Verhunzung weiblicher Schönheit, die Verunglimpfung eines begehrten Körpers der Aufschrei einer leidenden Seele. Diese Sichtweise greift hier aber sicher zu kurz. Die Frau sitzt nämlich bemerkenswert selbstsicher in ihrem Stuhl. Zwar schaut sie etwas leer und traurig vor sich hin, aber man hat nicht den Eindruck, das sie sich schämt oder hässlich vorkommt.

Das ist aber noch nicht alles. Tatsächlich ist ja Schönheit ein durchaus dehnbarer Begriff. Anfang der Achtzigerjahre habe ich im Kunstunterricht die These vertreten, dass jeder Mensch schön ist und seine Schönheit lediglich entdeckt werden muss. Dieser Meinung bin ich nach wie vor, wobei man diese Schönheit oft sicher nicht entdecken kann, ohne Liebe für diese Person zu entwickeln und zu empfinden.

In diesem Sinne fällt es ausgesprochen leicht, eine Beziehung zu dieser Frau aufzunehmen und sie liebzugewinnen, vielleicht gerade aufgrund ihrer so auffälligen Einzigartigkeit, die gängigen Schönheitsmodellen eklatant widerspricht. Die summarische Behandlung der Extremitäten und die groben Korrekturen am linken Unterschenkel stören nämlich eigentlich nicht, sondern können einfach nur als Zeichen genommen werden.

Die selbstsichere Präsenz dieser Frau ist es eigentlich, die im Mittelpunkt des Bildes steht und dieses aus der Fülle der Werke ähnlicher Thematik heraushebt. Portraits nackter Frauen ziehen sich durch die gesamte Kunstgeschichte und haben verständlicherweise immer wieder die Fantasie beschäftigt, denn Schönheit und Nacktheit haben natürlich ein enormes erotisches Potenzial insbesondere für den männlichen Betrachter und müssen dies insbesondere auch für den Maler haben, der ja nun das Modell direkt vor der Nase hat. Hat der ein Verhältnis mit seinem Modell? Geht er mit der Frau vorher, mittendrin oder nachher ins Bett?

Im Alter hat Picasso diese Fantasie in einer Serie von Radierungen variiert, in denen er sich selbst mit einem voyeuristischen und vermutlich impotenten Papst, den Maler hingegen mit Raffael identifiziert hat, dessen Modell, Fornarina genannt, vermutlich auch seine Geliebte war. Pinsel und Palette werden deutlich als phallische Symbole vorgetragen, und schließlich unterbricht der Maler vorübergehend seine Arbeit, um sein Modell zu begatten, absurderweise ohne sein Werkzeug aus der Hand zu legen (siehe auch meine Betrachtung  Raffael - Picasso und die Fornarina).

Im Gegensatz zu vielen traditionellen Auffassungen dieser Art, wo die nackte Frau sich selbst mehr oder weniger einladend präsentiert und der Unterschied zu Prostitution oft nicht leicht zu ziehen ist (so wird zum Beispiel von Manets » Olympia vermutet, dass hier eine Prostituierte dargestellt wird), ist bei diesem Bild durchaus Distanz spürbar. Die Nacktheit ist weniger erotische Stimulation als vielmehr Abwesenheit von Verkleidung und Schutzmechanismen. Insofern erinnert mich dieses Bild an eine beeindruckende Skulptur » Maler und Modell von » John de Andrea im » Ludwig-Museum in Köln, derzeit leider magaziniert.

Der Maler in meinem Bild hingegen fixiert ganz eindeutig die andere, braunhaarige Frau. Er ist, wie sich das gehört, nicht nackt, sondern ordentlich angezogen mit Hose, Gürtel und Hemd. Frisur und Bart verraten, dass ich es selbst bin. Die Beziehung des Malers zu dieser Frau ist deutlich distanziert. Er ist ganz Auge und Konzentration, von erotischer Spannung kann keine Rede sein. Warum nicht? Vielleicht ist die Antwort in der Hauptperson zu suchen. Diese Frau ist missgestaltet und liebenswürdig und so ein Beispiel dafür, dass es in der Liebe auf Äußerlichkeiten nicht ankommt.

Das Bild habe ich nicht im Schlafzimmer, sondern in der Küche gemalt und konnte die dargestellte Szenerie von dort aus gar nicht sehen. Die Reproduktion ist leider ziemlich schlecht. Das liegt an der Vorlage. Und die ist möglicherweise früher gemacht worden als die anderen. Ich habe es nämlich mit anderen Gemälden, die ich nicht so gut fand, abgespannt und aufgerollt, um die Keilrahmen wiederverwenden zu können und so Material zu sparen (als Student konnte ich mir nicht viel erlauben). Wenn ich das Bild neu hätte fotografieren wollen, hätte ich es wieder aufrollen, passende Keilrahmen besorgen und aufspannen müssen.

»  Las Meninas · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
Heute finde ich, es ist ein sehr bemerkenswertes, witziges und liebenswürdiges Bild. Es ist vielleicht ein bisschen dünn und zaghaft, aber in seiner Art durchaus perfekt und vergleichsweise groß - aber nicht das erste in dieser Größe; große Formate fand ich von Anfang an interessant. Allerdings konnte es meinen Ansprüchen ebenfalls nicht genügen. Obwohl dieses Bild schon recht komplex war, musste Kunst noch etwas ganz anderes sein. Das war mehr Spielerei.

Der Bezug zu » Las Meninas von » Velasquez, zum Thema des Malers, der sich selbst malt, wie er andere malt, fällt mir erst jetzt auf. Da Picasso damals bereits die Meninas verwurstet und ich davon bestimmt schon Kenntnis hatte, hätte ich durchaus auf die Idee kommen können, ein solches Bild zu konstruieren. Habe ich aber nicht. Es ist ganz naiv und spontan entstanden. *
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog  » Stürenburg 2007

 





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