180 cm - 71 inch
Werkgröße 40×36cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 35
Öl / Weichfaser
02.11.1973, » 40×36 cm (16×14")

» Kommentar

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Kommentar 03.01.2011
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Diese Frau kenne ich. Das ist Erika, wie sie arbeitet. Und wieder ist es so, dass ich nicht vorhatte, ein Portrait von Erika bei der Arbeit zu machen. Ich malte drauflos, und heraus kam Erika bei der Arbeit, völlig konzentriert und versunken. * Das war mir schon klar, als das Bild fertig war.

Nun könnte man denken, sie träumt versunken und kritzelt belangloses Zeug vor sich hin, aber in Wirklichkeit denkt sie intensiv nach. Ihre Arbeit besteht nämlich darin, Mathematik zu treiben, also abstrakte mathematische Sachverhalte zu untersuchen, zu verstehen und voranzutreiben. Die Notizen dienen lediglich dazu, diese gedankliche Tätigkeit zu unterstützen.

Dieses Bild ist eine sogenannte Grisaille, das heißt es werden im wesentlichen nur Schwarz, Weiß und Grautöne als Mischung dieser beiden Nichtfarben verwendet. Nur im Bereich der Nase findet sich eine Buntfarbe, helles Ocker, wobei es sich möglicherweise um Reste der ersten spontanen Pinselzeichnung handelt.

Der Ausdruck Grisaille ist mir erstmals im Werk Picassos begegnet, der einige Werke als Grisaille ausgeführt hat, oft Hauptwerke; das berühmteste Beispiel ist » Guernica, das fast jedem bekannt sein dürfte. Ich kannte diese Sachen natürlich nur aus den preiswerten Kunstbüchern, die damals auf den Markt kamen.

Die Entscheidung, eine Grisaille zu malen, war ebenso willkürlich oder unbewusst wie der Rest. Die Beschäftigung mit Picasso und dem Kubismus wird natürlich auch an der Behandlung der Formen deutlich, etwa an ihrer rechten Hand und dem dazugehörigen Arm, obwohl der Kopf dann wieder nicht ganz so kubistisch anmutet.

Anscheinend glaubte ich den Suggestionen der Experten, dass es sich beim Kubismus um eine weltbewegende Errungenschaft handelt, die den Vergleich mit den revolutionären Neuerungen der Renaissance nicht zu scheuen braucht. Verstanden habe ich das zwar nicht, aber in diesem und einigen späteren Bildern macht sich diese Irritation deutlich bemerkbar.

Im Gegensatz zu den kubistischen Umformungen Picassos, bei denen oft die Persönlichkeit verlorengeht, strahlt dieses Bild eine gewisse Innigkeit aus. Die Anordnung der Hauptrichtungen bringt eine interessante Drehdynamik ins Spiel. Das Gesicht ist etwas ungelenk, vor allem die Kinnpartie, wodurch ein leicht dilettantischer Zug entsteht. Ich mag dieses Bild, habe es aber nie aufgehängt. Das war schon ganz schön, aber noch nicht das, was mich befriedigt hätte.

Als Botschaft ist das Bild eindeutig: Für diese Frau ist die Arbeit wichtig, und wenn sie arbeitet, denkt sie an nichts anderes und vermisst auch nichts. Im Gegensatz zu der Frau aus  Nummer 32, der Paraphrase nach dem Frühstück im Grünen, die ganz Prinzessin ist, in Gedanken an ihr Gefühlsleben versunken, fest entschlossen, sich den ersehnten Prinzen nicht nehmen zu lassen, oder der exotisch geschminkten Frau  Nummer 34, die den Betrachter offen anschaut, fehlt hier jeglicher Hinweis auf einen Partner - diese Frau braucht niemanden.

Vielleicht ist dieses Bild eine späte Reaktion auf ihre Verhaltensänderung nach unserer Übersiedlung 1969 in die USA, als Erika es an der Zeit fand, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nicht mehr, wie zuvor, ihre Zeit mir zu opfern. Da sie diese Entscheidung nicht verbalisierte und mir auch nicht bewusst war, dass ihre Gegenwart für sie ein Opfer bedeutete, hatte mich dieser Wechsel überrascht und verletzt.

Wir hatten zwei Schreibtische in einem Raum voller Schreibtische in der Universität bezogen, der sonst von niemandem benutzt wurde, und zwar so, dass wir uns anschauen konnten. Aber nur ich schaute sie an, sie schaute nur ihre Papiere an oder genauer ihre Gedanken.

Auch ich konnte meine Gefühle nicht verbalisieren, hielt aber diesen Anblick, der den Wechsel schmerzhaft deutlich machte, nicht aus und drehte meinen Schreibtisch nach ein paar Tagen um, um sie nicht mehr im Blick zu haben, was nun wiederum sie alarmierte. Oh Irrungen und Wirrungen!

Ich wüsste jedenfalls nicht, dass wir sonst je in einer räumlichen Position gewesen wären, die eine solche Ansicht gestattet hätte.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog  » Stürenburg 2007

 





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