Später habe ich es wiederbekommen und selbst aufgehängt. Es ist merkwürdig - das Bild ist besser als ich denke, und dieses Wechselspiel findet immer wieder statt. Ich sehe es, finde es nicht besonders gut, schaue es mir eine Weile an, und je länger ich das tue, desto besser gefällt es mir.
In gewisser Weise ärgert mich das; ich weiß nicht genau warum, aber es könnte so sein: Ich möchte ja verstehen, warum Bilder gut sind, und gehe davon aus, dass es nicht reicht, wenn Farben und Formen angenehm oder gar grandios sind - die Inhalte sind es, denen ich den Vorzug gebe. Es soll irgendetwas dahinterstecken, etwas Tiefliegendes, und wenn das nicht offensichtlich ist und ich es auch nicht herausbekomme, bin ich verärgert.
Auf jeden Fall habe ich mir bei diesem Bild wieder ein Herz genommen und frisch drauflos gemalt. Der grüne Hintergrund ist mit dem Spachtel abgeschabt, was einen interessanten Effekt ergibt. Die Punkte im Gesicht sind gesetzt wie bei » Rembrandt die Knöpfe beim Mantel des » Jan Six (dieses Gemälde habe ich Ende der Siebzigerjahre im Original sehen können, im Hause der Familie Six in Amsterdam - sehr beeindruckend).
Auffällig ist auch das Ohrgehänge, das anscheinend am Kopftuch befestigt ist. Hier taucht so etwas erstmals auf; später spielt Ohrschmuck immer wieder eine wichtige Rolle, sowohl für Männer als auch für Frauen. Für Männer war das damals im Gegensatz zu heute nicht üblich; ich kann nicht behaupten, dass mir männlicher Ohrschmuck gefallen würde, obwohl er in den Bildern seinen Platz hat und dazugehört. So wirkt dieses gewaltige Ohrgehänge auch in diesem Bild wie selbstverständlich.
Der beeindruckende Gesichtsausdruck ist ohne realistische Anleihen erreicht worden. Für alle Einzelteile, Augen, Nase, Mund, sind eigene Erfindungen gemacht worden - nicht bedeutend, aber sehr wirksam und überzeugend, mit Schwung und Entschlossenheit vorgetragen. Die Frau schaut den Betrachter intensiv und freundlich an, fast einladend, aber auch ein bisschen abwartend. Es ist kein Portrait und es kann auch nicht als Portrait verstanden werden. * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007