Viele Jahre später bog ich eines Tages in einem Pariser Museum um die Ecke und war wie vor den Kopf geschlagen: Da hing doch 'mein Bild' an der Wand! Das » Original musste etwa so groß sein wie meine Kopie, denn sonst hätte ich das Bild an der Wand nicht auf den ersten Blick für meines halten können. Dank Internet fand ich nun heraus, dass das Original im Musée d'Orsay hängt; man kann es auf dessen Webseite aufrufen und es werden sogar die Maße angegeben: 45x51cm. Meine Kopie entspricht mit 38x51cm exakt der Breite, aber nicht der Höhe - beim Vergleich sieht man auf den ersten Blick, dass ich den Vordergrund etwas verkürzt habe, was dem Bild aber nicht schadet. Vermutlich hat mein Vater die Leinwand gebastelt. Kannten wir damals die Dimensionen des Originals? Hat er die berücksichtigt? Keine Ahnung. Es ist nicht anzunehmen, dass die Maße in der Schülerzeitung genannt wurden; das ist selbst bis heute noch nicht einmal in Büchern üblich.
Van Gogh verbraucht enorm viel Farbe, das sieht man sogar auf einer einfachen Reproduktion in einem Schülermagazin, und ich habe mich erfolgreich bemüht, diese Plastizität nachzuahmen, wie man sehen kann. Infolgedessen waren die Farben anschließend fast alle. Vorbei der Spaß! Mein Vater hatte aber ein Einsehen und präsentierte eine Lösung: Er kaufte mir das Bild für 20 DM ab. Damit konnte ich neue Farben kaufen. Es blieb aber sein einziger Erwerb, woraus ich schließe, dass er erstens das Bild gelungen fand und es mochte, zweitens aber keine Serienproduktion wünschte. Er war ein sparsamer Mann. Bei seinem Tode fiel das Bild wieder an mich zurück. Bei mir heißt es 'Zigeunerwagen', das Museum nennt es 'Les roulottes, campement de bohémiens aux environs d'Arles'. *
Das Geheimnis, wie van Gogh sich einen derartigen Farbenverbrauch leisten konnte, habe ich erst kürzlich gelöst: Sein Bruder hat ihm gegen Überlassung aller damit produzierten Kunstwerke sämtliche Materialien kostenlos zur Verfügung gestellt und darüber hinaus einen monatlichen Betrag zur Lebenshaltung, der größer war als der Monatsverdienst des von van Gogh portraitierten Briefträgers, der damit eine fünfköpfige Familie zu unterhalten hatte. Soviel zur Legende, dass van Gogh ein armer Schlucker war, der aus finanzieller Not sein Ohr abschneiden musste, um die Prostituierte zu bezahlen.
Meine Eltern haben sich vermutlich nicht viel dabei gedacht, als sie mir die Farben schenkten, genauso wenig wie ich selbst. Ein anderes Mal wünschte ich mir ein Akkordeon, weil auf einem Foto des Zwei- oder Dreijährigen ein Jüngling mit Schifferklavier zu sehen war und ich mich dunkel an Glücksgefühle erinnerte. Meine Eltern erkundigten sich und deuteten dann an, dass ein Akkordeon sehr teuer sei und ich mir etwas anderes überlegen solle; da ging mir auf, dass eine Gitarre überhaupt sehr viel schicker sei - ich kam langsam in das Alter, wo man Musik hörte und für Bands schwärmte. Das schien wohl in Ordnung zu sein. Als ich dann doch ein (gebrauchtes) Akkordeon bekam, war ich leicht enttäuscht.
Ein solches Geschenk ist keine Verpflichtung und legt nicht fest. Ich bin ja auch kein Musiker geworden, obwohl ich mich um dieses Instrument ernsthaft bemüht habe - genausowenig hätte ich wegen dieses Geschenks nun ein Künstler werden müssen, zumal mich meine Eltern nicht sonderlich ermutigt haben.
Die Kopie nach van Gogh ist nach meiner Einschätzung sehr gut gelungen. Ich habe dazu nicht geübt und keinerlei Probleme wahrgenommen, sondern einfach ganz unbedarft losgelegt und das Bild heruntergepinselt. Erstaunlich! Aber das will ja nicht viel heißen, jugendliche Talente müssen sich bewähren. Das Bild ist nicht signiert, das Original auch nicht. Es ist auch nicht datiert; das Datum 1. Januar soll signalisieren, dass es sich hier um eine Schätzung handelt. Als ich die Farben bekam, war ich vermutlich 14 oder 15 Jahre alt, vielleicht auch jünger.
Es war meine erste Kopie und ist hier stellvertretend für alle anderen aufgenommen worden, die ich in meinem Elternhaus angefertigt habe. Angesichts der vielen Jahre, die ich dort noch verbracht habe, war ich nicht besonders fleißig. Ich hatte offenbar nicht vor, Künstler zu werden.
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Was mein Gemälde betrifft, so scheint es mir ganz eindeutig viel zu hell und strahlend zu sein. In meiner Erinnerung kommt es dem Original sehr nahe, aber das will nicht viel heißen - eine verlässliche Aussage kann man nur machen, wenn man beide Gemälde nebeneinanderhält. Deshalb haben die Maler früher ihre Kopien im Museum gemacht. Auch heute noch kann man das manchmal sehen. * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007