180 cm - 71 inch
Werkgröße 99×79cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 196
Lack / Hartfaser
30.09.1974 - 03.10.1974, » 99×79 cm (39×31")
Rückseite von » 186


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Kommentar 04.10.2012
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA



› No. 186    99x79 cm
Rückseite
Mit diesem Bild war ich wieder sehr zufrieden und bin es heute noch. Die Farbflächen sind im wesentlichen völlig ohne Bewegung, das Bild lebt vom Liniengerüst, den Farben und Flächenverteilung. Und natürlich von der gegenständlichen Bedeutung. Da waren sie wieder, Mann und Frau. Noch dazu mit integrierten Vexierfiguren, zwei Fischen. Engelbrecht nahm es mit Interesse zur Kenntnis. *

» Erich Engelbrecht hatte viele Jahre vor unserem Zusammentreffen ein Gemälde von Picasso gefunden, das er für sehr bedeutsam hielt. Es war ein Kopfporträt einer Frau, vermutlich Ende der Dreißigerjahre entstanden, und enthielt einen Papagei als Vexierbild.

Warum diese Erfindung bedeutsam sein sollte, hat sich mir nicht erschlossen. Da Engelbrecht aber selber jede Menge Vexierbilder produzierte und Picasso für ihn einer der Auslöser gewesen war, sich für eine Laufbahn als Künstler zu entscheiden, konnte ich nachvollziehen, dass dieses Bild für ihn bedeutsam war und er es mir deshalb ans Herz legen wollte.

Ich habe mir sogar, weil er so große Stücke darauf hielt, die (ziemlich große) Mühe gemacht, im Gesamtkatalog von Zervos, den die Kunsthalle Bielefeld besaß und den ich in deren Präsenzbibliothek einsehen konnte, dieses Bild herauszusuchen - ich habe es tatsächlich gefunden. Es war lediglich im Kleinformat und monochrom abgebildet. Im » On-Line Picasso Project habe ich es nicht finden können - soeben habe ich die Jahrgänge 1929 bis 1945 durchsucht. Auch sonst ist es mir nie begegnet.

Picasso hat diese Idee anscheinend nicht weiter verfolgt (was auch Engelbrecht schon klar war), bis auf die Integration von Geschlechtsorganen in Gesichtern, die ihn tatsächlich viele Jahre sehr beschäftigt hat (wovon ich wiederum nicht weiß, ob Engelbrecht das bekannt war). Bekannt ist beispielsweise die Lesart der zurückliegenden Gesichtshälfte als Penis im Gemälde » Le Rêve, der auch in vielen anderen Bildern deutlich angesprochen wird (hier einige wenige schnell herausgesuchte Beispiele aus den Jahren » 1932, 1935, » 1937 und 1941):


No. 1 »Le rêve 130x98cm · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 1 »Le rêve 130x98cm
 


     
No. 2 »Femme accoudée 50x61cm · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 2 »Femme accoudée 50x61cm
 


     
No. 3 »La femme qui pleure I (VI) 69,2x49,5cm · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 3 »La femme qui pleure I (VI) 69,2x49,5cm
 


     
No. 4 »Femme au chapeau vert et broche   61x38cm · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
Die Wikipedia erörtert das Phänomen männlicher Sexualorgane im Gesicht einer Frau bei Picasso am Beispiel des Gemäldes » Le Rêve:

Picasso hat selbstverständlich auch das Wechselspiel von Form und Grund gekannt (Vexierbild); gerade durch die kubistischen Techniken, wo jede Form für sich stehen kann, im Zusammenhang mit anderen Formen unter Umständen jedoch andere Bedeutungen annimmt, war er zweifellos dafür sensibilisiert. Anscheinend hat er Mehrdeutigkeiten aber nicht systematisch untersucht und provoziert, da sie in seinem Werk relativ selten vorkommen. Hier kann die hintere Hälfte des Gesichts leicht und unzweideutig als erigierter Penis gelesen werden, wenn man einmal darauf aufmerksam geworden ist; ob sich dies zufällig ergeben hat oder bewusst so gestaltet wurde, ist unbekannt. Das Spiel der Hände in Schoßbereich ist offensichtlich sexuell anzüglich.

Erotische Inhalte sind in Kunstwerken seit jeher zu finden, mehr oder weniger versteckt, wie es die gesellschaftlichen Umstände erforderten; diese Eigenart des Gemäldes ist also nicht unbedingt bemerkenswert, höchstens die Offensichtlichkeit und Deutlichkeit der Gestaltung.[2] Außerdem kann man nach Sigmund Freud in so ziemlich jede Form irgendetwas Erotisches hineinsehen, wenn man unbedingt will; die Frage ist, was damit ausgesagt wird. Männer haben verschiedentlich behauptet, das Bild sage aus, dass diese Frau nur Sex im Kopf habe; so zum Beispiel der Picasso-Biograf John Richardson.[3] Der jetzige Besitzer sieht das anders und hat gute Gründe dafür:

„Meine Wahrnehmung der sexuellen Aspekte des Bildes ist: Wenn Sie ein 51-jähriger Mann sind und Sie haben eine 21-jährige Freundin, dann ist klar, dass dies die Phantasie von Picasso ist, nicht die seiner Geliebten. Jeder 51-jährige Mann würde wünschen oder hoffen, dass sie von seinen Körperteilen träumt. Wenn Sie diese Ansicht übernehmen [...], wäre ein passenderer Titel Prendre ses désires pour des réalités, übersetzt als Wunschdenken.“

– Kelly Devine Thomas: Say It with Flowers—or Gourds, Goats, Fur Cups, or Fried. In: ARTNews, September 2006[2][4]


» Le Rêve

 Ausschnitt · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
     
 Ausschnitt · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Engelbrechts wegen hielt ich diese meine zufällige Erfindung ebenfalls lange Zeit für bedeutsam, hielt sogar einige Zeit eifrig Ausschau nach weiteren Vexierbildern, ohne es geradezu darauf anzulegen, aber heute halte ich diese eher für belanglos, wie schon damals, als ich das Bild malte.

Man braucht auch durchaus ein bisschen Fantasie, um sich hier Fische vorstellen zu können. Wenn man sie so isoliert nebeneinander sieht, scheinen sie fast zu tanzen.

Viel bedeutsamer, so fällt mir jetzt auf, ist die konsequente Behandlung der Flächen als einheitlicher Anstrich, als gleichmäßige Lackierung.

Einheitliche Farbflächen gibt es auch in früheren Bildern, aber diese sind dort oft durchaus malerisch behandelt, sie zeigen also leichte Schattierungen oder Modulationen, auf jeden Fall sind diese nur Teil des Bildes, im Regelfall Hintergrund.  No. 194 ist ein gutes Beispiel dafür. Bei 196 gibt es nur im Schuh der Frau eine Modulation.

 "Speise ging von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken". Ol auf Leinwand. 355 x 460 cm · © Copyright Werner Popken. 
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Der Vergleich mit der Rückseite  No. 186 zeigt deutlich den Unterschied zwischen malerischer und flächiger Behandlung.

Diese flächige Behandlung, so stellte sich später heraus, ist nicht mein Ding, sondern Engelbrechts, und deshalb geriet ich in eine Krise, ohne erkennen zu können, weshalb. Engelbrecht selber kam schließlich drauf, als ich  No. 201 gemalt hatte und mich ganz elend fühlte.

Anlässlich  No. 113 hatte ich ja selbst bemerkt, dass ich mich von ihm hatte vereinnahmen lassen. Da waren es die Bildgegenstände, nun war es die Malweise.

In der großen Deele seines Bauernhauses in Holterdorf bei Melle lehnte das monumentale Gemälde "Speise ging von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken" an der Wand.

Schon damals und auch jetzt wieder fallen mir die vielen phallischen und vaginalen Symbole auf, die Gebärmütter allerorten, aber die Figur, die Anlass für den Titel gab, musste ich erst suchen.

Dieser geht auf die Bibel zurück, wie mir verraten wurde. Das ist das Rätsel, das » Samson den Philistern stellte: » Ri 14,14 EU.

Als er zum Jüngling herangewachsen war, verließ er die heimatlichen Berge und besuchte die Städte der Philister. Dort verliebte sich Samson in die Tochter eines Philisters aus Timna. Er überwand die Einwände seiner Eltern und durfte die Frau heiraten. Auf dem Weg zur Brautwerbung nach Timna entfernt sich Samson von der Begleitung seiner Eltern. Er begegnet einem Löwen: „Da kam der Geist des Herrn über Simson, und Simson zerriss den Löwen mit bloßen Händen, als würde er ein Böckchen zerreißen“ (Ri 14,6 EU). Auf der Reise zur Hochzeit findet er im Kadaver einen Bienenstock; er nimmt vom Honig und teilt ihn mit seinen Eltern, ohne dessen Herkunft zu verraten.

Beim siebentägigen Festmahl kam es zu einem Rätselwettstreit zwischen Samson und den dreißig philistinischen Brautbegleitern um einen wertvollen Preis in Form von dreißig Festkleidern und -hemden. Samsons Rätsel allegorisiert das Geheimnis seines Löwenkampfes: „Vom Fresser kommt Speise, vom Starken kommt Süßes“ (Ri 14,14 EU). Drei Tage lang vermochten die anwesenden Philister das Rätsel nicht zu lösen; schließlich bedrohten sie Samsons Braut mit dem Tode, damit sie die Antwort herausfände. Nach ihrem dringlichen und tränenreichen Nachforschen verriet er ihr das Geheimnis, das sie wiederum ihren Stammesgenossen verriet: „Und am siebten Tag sagten die Männer der Stadt zu ihm, bevor die Sonne unterging: Was ist süßer als Honig, und was ist stärker als ein Löwe? Er aber erwiderte ihnen: Hättet ihr nicht mit meiner Kuh gepflügt, dann hättet ihr mein Rätsel nicht erraten'“ (Ri 14,18 EU). Da sich Samson nicht in der Lage sah, die von ihm versprochenen Festkleider einzulösen, ging er ins nahe gelegene Askalon und erschlug dort dreißig Männer und raubte deren Festkleider.
» Samson

Ganz rechts oben soll man einen Löwenkopf mit aufgerissenen Maul erkennen können, rechts von der Zielscheibe und der Schere, in dessen Oberkiefer sich der abgerissene Stachel einer Biene befinden mag, oberhalb des Skorpions. An mehreren Stellen des Bildes finden sich auch Strukturen, die man mit gutem Willen als Waben kennzeichnen könnte, allerdings sind diese alle ausgesprochen rund, während Bienenwaben bekanntlich sechseckig sind.

Eine winzige Abbildung im Internet macht es natürlich schwer, sich einen Eindruck vom monumentalen Original zu verschaffen. Aber auch wenn man diesem gegenüberstand, war das nicht leichter, selbst in der relativ großen Deele. Was sollte man mit dieser Fülle von Details nur anfangen? Der Titel ist sicher keine Hilfe.

Engelbrecht malte eigentlich nicht, sondern er zeichnete und kolorierte nachträglich, manchmal. Zeichnen hieß für ihn, die Hand laufen zu lassen und anschließend zu beurteilen, bis wohin die Linie „heilig“ war und wo der Murks begann. Den radierte er dann wieder weg. Das machte er so lange, bis das Werk ausschließlich aus „heiligen“ Linien bestand.

Meine Arbeitsweise war ja nun radikal anders. Ich arbeitete einfach drauflos und das war's. Wenn man so will, habe ich gleich heilige Linien und Farben produziert - jedenfalls so lange, bis ich anfing, mich selbst zu beobachten. Das war dann fatal und resultierte in Krampf (siehe Über die Beobachtung des schöpferischen Prozesses. Improvisierte Rede über Werknummer 226, Hürth 13.3.1983, Kreishaus, Tonbandmitschnitt). Das war dann wohl eine weitere Wirkung des Einflusses Engelbrechts.

Bei diesem meinem Bild 196 fühlte ich mich noch ganz gut. Ich kann mich erinnern, dass ich es am späten Nachmittag malte und der Briefträger klingelte. Eigenartigerweise fragte er mich, was ich mache, vielleicht hatte ich die Pinsel in der Hand und Farbe an den Fingern, und ich sagte: „Ich male ein Bild.“ Das fand er natürlich merkwürdig. Ich war ganz fröhlich und konnte mich der Malerei ganz hingeben.

Was machen diese beiden? Der Mann sitzt vorne, die Frau hinter ihm. Beide sprechen, sie scheint das Wort zu führen und er zu antworten. Sie weiß, wo es langgeht, und er muss es machen. Sie sind beide allein auf dieser Welt, ganz auf sich gestellt, und das ist keine schöne Situation. So ist die Stimmung nicht viel besser wie auf der Rückseite. Es fehlt ihnen ganz entschieden was, aber sie wissen nicht was.

 Ausschnitt · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
     
 Ausschnitt · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA

Die Gestaltung der beiden Gesichter, die unter anderem die erwähnten Fische zur Folge hat, von denen jeweils die Farbe des größeren Teils der einen Person die Farbe des kleineren Teils der zweiten ist, ist natürlich auffällig, aber nicht unbedingt auffälliger als die Gestaltung der drei Hände.

Die Fische ergeben sich ganz automatisch als Hintergrundfolie der Silhouette, denn die Dreiviertelansicht zeigt eben auch das Profil, das für sich alleine stehen könnte. Was können Fische bedeuten?

Fische sind kalt, glitschig, nass, also nicht unbedingt gerade Sympathieträger. Sie haben eine phallische Form, wenn auch nicht gerade in Reinkultur.

Die einzige überzeugende Assoziation ist die Chiffre für Christen, die schon zu Zeiten der römischen Verfolgung einen » Fisch als Erkennungszeichen vereinbart haben sollen.

Mit mir hatte das aber nichts zu tun. Ich war zwar evangelisch-lutherisch getauft und konfirmiert, aber mit 18 aus der Kirche ausgetreten, als ich das Elternhaus verließ, weil ich mit diesem Verein und seiner Religion nichts verbinden konnte.

So konnten die Fische in den Gesichtern also nur verwirren, genauso wie der Papagei bei Picasso zu nichts führte.

 Engelbrecht: Elvira als Skulptur · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
     
  Waltraut Engelbrecht mit Engelbrecht-Brosche · © Copyright Werner Popken. 
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  Der Schreiber, Brosche, 18ct Gold · © Copyright Werner Popken. 
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Die Anhäufung an Symbolen in den Arbeiten Engelbrechts sind aber auch für ihn und seine Frau sehr schwer zu entziffern. Bei einem Gemälde wie dem obigen erscheint das fast aussichtslos, spätere Arbeiten waren freilich sehr viel einfacher.

Waltraut Engelbrecht, die Frau des Künstlers, hat - wenn ich mich recht erinnere, als Beitrag zum Katalog seiner Einzelausstellung 1969 in der » Kunsthalle Bielefeld - ein vergleichsweise einfaches Bild namens Elvira beschrieben und gedeutet.

Eine Umsetzung dieses Bildes als Skulptur ist in seinem „» Privatmuseum“ im Park des » Château des Fougis, das Engelbrecht 2000 erworben und mit dem er sich ein unerhörtes Denkmal gesetzt hat, in » Thionne in der » Auvergne in Frankreich aufgestellt: » Elvira.

Stellt man sich diese Skulptur auf eine Platte projiziert vor, hat man das seinerzeit besprochene Gemälde - oder umgekehrt: schneidet man aus der Platte die Figur aus, erhält man die Skulptur.

Ich habe versucht, diesen Text über Elvira zu verstehen, und kann leider nicht behaupten, erfolgreich gewesen zu sein, habe das Bild dadurch auch nicht besser verstanden und nach wie vor auch nicht mögen können - obwohl ich mich bemüht habe, schließlich war Engelbrecht so etwas wie mein Mentor, den und dessen Arbeiten wollte ich unbedingt gut finden.

  Der Schreiber · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
Der Aufsatz » Der Schreiber. Notizen über die Entstehung, von Waltraut Engelbrecht ist vielleicht ein gutes Beispiel für die Denkweise der Interpretin und des Künstlers, die sich ja offen zur Zusammenarbeit bekannt haben. Es geht um eine der Monumentalskulpturen, die es auch in Miniaturform als » Brosche zu kaufen gibt, wobei hier die Grundplatte der Skulptur fehlt, die ja angeblich bezüglich der Deutung nicht unwesentlich ist.

Das Werk wird in Einzelteile zerlegt und diese mit Bedeutungen belegt, so dass dieses schließlich wie eine Illustration der Deutung erscheint. Insbesondere geht das Werk vollkommen in der Deutung auf. Damit wäre es eigentlich als Kunstwerk durchgefallen, wenn ich die übliche Interpretation der Natur eines Kunstwerks richtig verstehe.

Es ist aber wohl eigentlich anders gemeint: Durch das Werk wird etwas offenbar, das vorher nicht vorhanden war. Die Produktion des Werks geschieht ja ohne den Einsatz des Intellekts, wenn ich Engelbrecht richtig verstanden habe. Seine Hand arbeitet blind, wird von seinem Unbewussten oder Unterbewusstsein oder was auch immer gelenkt.

Diesem wird nun eine höhere Weisheit zugestanden (woher auch immer die kommen mag, die » Archetypen lassen grüßen), die der Intellekt durch Interpretation des Kunstwerks dem Verstand zugänglich machen kann.

Dieses Verständnis des Wesens und der Funktion von Kunst hat mir damals durchaus gut gefallen und seinen Niederschlag auch in meinem Basler Manifest von 1984 gefunden:

15. Kunst und Wissenschaft müssen als gleichwertige Erkenntnisquellen des Menschen anerkannt werden.

17. Kunst kann Wege aufzeigen zu grundlegenden Lösungen, ist so lebenswichtig und unersetzbar. Wir brauchen Künstler, die sich dieser Herausforderung stellen.

Basler Manifest

Aber wird hier wirklich etwas Neues entdeckt, neue Erkenntnis geschöpft? Oder nur schon vorher Gewusstes allenfalls neu formuliert?

Ein Grundmuster unserer geistigen Tätigkeit wird gezeigt. Unsere Fähigkeit, die Zeit in Herkunft und Zukunft zu scheiden, ist die Wurzel unseres innovativen, schöpferischen Wesens. Dazu muß einerseits der Strom des Herkömmlichen “unterbrochen” werden, sonst bleibt ewig alles beim alten. Andrerseits kann aus dem Angestrebten, dem Neuen nur dann etwas werden, wenn es mit den Vorgaben des bereits Gewordenen vereinbar ist: es muß jene "einbeziehen«. Mit der schwungvollen Aufwärtsbewegung dieses unterbrechenden Einbeziehens bringt der Schreiber oben, in seinem Bewußtsein, das Vorschwebende mit dem Gewordenen “unter einen Hut”, “unter ein Dach”.

Erst dann ergreift er die Feder. Neu ansetzend schreibt er seine Vision des Zukünftigen (die Feder enthält ein Auge!) in den offenen Raum vor ihm. Der phallische, sprich. zeugende Aspekt dieser Feder ist unübersehbar. Ihr wahrer Name lautet womöglich. “Schöpferische Triebfeder des Geistes”.

» Der Schreiber. Notizen über die Entstehung, von Waltraut Engelbrecht.

Wenn es sich bei den Bildwerken um insgeheim in der Seele oder dem individuellen oder kollektiven Unbewussten schlummernden Bildern (Archetypen) handeln sollte - warum werden diese nicht unmittelbar wirksam, warum erkennt man sie nicht sofort, warum wirken sie so fremd und sperrig und wollen sich gar nicht erschließen?

 Les Fougis, 03220 Thionne, Frankreich · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
Im  Flyer zum Skulpturenpark findet sich eine Abbildung einer weiteren Variante der Elvira als kriechender Drache.

Weitere Abbildungen zeigen die gigantischen Ausmaße seiner Monumentalskulpturen - die man auch im Satellitenbild deutlich erkennen kann - durch die Konfrontation mit einzelnen aufrecht danebenstehenden Menschen und außerdem das Schema des Grundrisses des Parks, der seinerseits natürlich von Engelbrecht entworfen wurde.

In der Satellitenansicht sieht die Struktur des Parks fast aus wie ein Weinglas mit Wulst am Stiel und angegossenem Anker, ganz passend für den passionierten Weintrinker Engelbrecht.

Wenn man vom Schloss aus schaut wie im » Zugangsplan, ist es ein Querschnitt durch einen Pilz mit eingearbeitetem Kreuz, wobei der Querbalken aber, wie man am Satellitenbild sieht, zu kurz, schief und auch asymmetrisch ist, um als Symbol des Christentums durchzugehen - die Planzeichnung ist einfach gequetscht, vermittelt einen falschen Eindruck.

Die Säule im Zentrum des folgenden Bildes ist gar keine, sondern die Seitenansicht einer Monumentalskulptur. Diese sind nämlich in der Regel aus sogenanntem Grobblech geschnitten, also aus starken Eisenplatten, die hier etwa 10 cm dick sind, selten (meines Wissens nur einmal) aus mehreren solcher zusammengesetzt, wobei diese planen Einzelflächen sich gewissermaßen durchschneiden, verschränken oder durchdringen.

So erklärt sich auch das enorme Gewicht dieser Skulpturen (» Der Schmied: 10m hoch, 130 Tonnen, » EINFÜHRUNG). Man kann sich leicht vorstellen, wie teuer alleine das Material ist, auch wenn Eisen oder Stahl nicht gerade zu den teuren Metallen zählt, und wie teuer der Transport sein muss, der ja nicht von normalen Lastzügen bewältigt werden kann, weil das Gesamtgewicht eines Lkw beschränkt ist (in Deutschland 40 t, in Frankreich ebenfalls, seit Anfang diesen Jahres leicht erhöht auf 44 t). Das geht also nur mittels eines Schwerlast-Sondertransports.

Das Modell einer solchen Skulptur kann eine reine Umrisszeichnung sein, die Ausführung kann in beliebigen Dimensionen und Materialien von (Kunst-)Handwerkern vorgenommen werden, eben auch als Brosche oder als Tischplastik. So sieht man den Schreiber auf einem der Fotos in einer Ausführung, die vielleicht 20 cm hoch ist: » Biografie des Künstlers. Dort scheint der weiße Anstrich sogar mit Schriftzeichen verziert zu sein.


 Darstellung aus dem Nebel tretender Archetypen. Foto E. Engelbrecht, Les Fougis, 2009 · © Copyright Werner Popken. 
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Demnach bildet für Erich Engelbrecht die Beziehung zwischen unterbewussten Wahrnehmungen einerseits, und der Schöpfung von eigenen Ideen andererseits, gleichzeitig den Inhalt seines gesamten Werkes, wie auch den Inhalt jeder seiner Kreationen und letztendlich den Inhalt der menschlichen Intelligenz selbst. In diese Allegorischen Kunstwerke, werden die Ästhetische Vorstellungen durch die inhaltliche Bedeutung des Werkes bis ins Äußerste geordnet.

Um zu begreifen, was sein Werk so bemerkenswert macht, muss man also die Art betrachten, in der es an eine beispiellose archetypische Formensprache gebunden ist.

Gigantische Nestlinggestalten die gefüttert werden, verdeutlichen in der Plastik des "Schmiedes" – mit gewissem Humor – den Prozess, in dem Ideen erst die richtige Form entwickeln, bevor sie überhaupt formuliert werden können. Anderswo noch gibt es Krieger mit Fischen zu sehen. Der Tanzschritt und das triumphale Vorführen des Fanges – den schweren Verletzungen zum Trotz – deuten auf eine unverhoffte Entlohnung. Es ist eine Verdeutlichung von den erfreulichen Erkenntnissen, versteckt tief in der eigene Seele, welche dem Mensch einen Notausgang zu seinem zerstörerischen Wahn bieten.

Man müsste den Skulpturengarten aber wahrscheinlich sehr oft besuchen, um wirklich zu begreifen, bis zum welchem Grad die Kunst von Engelbrecht uns tiefgründig entspricht.

» Einführung in das Werk

Bei dieser Gelegenheit habe ich von Engelbrechts Tod 2011 erfahren: » Biografie. Möge seine Seele sich der Gegenwart Gottes erfreuen!

Erich Engelbrecht glaubte wie so viele Menschen unserer Zeit an die Selbsterrettung des Menschen, die ja nur allzu leicht zur Selbstvergottung führt. Gott kam bei ihm nicht vor. Der Intellekt und die Psychologie, das sogenannte Unterbewusstsein, speziell in der Lesart von » C.G. Jung, das reichte ihm.

Ach ja, und über Jung vermittelt hielt er große Stücke auf „die Chinesen“, womit er das » I Ging meinte, das ich bei ihm kennenlernte. Das war sein Handwerkszeug, damit arbeitete er ständig. Mittels der 64 Zeichen und deren Wandlungen versuchte er die Welt zu verstehen. Sämtliche Situationen der Welt mit ihren Entwicklungstendenzen sollten in diesen Konstellationen eingefangen sein, gleichsam wie Archetypen. Seiner Meinung nach hatten die Chinesen die Weisheit mit Löffeln gefressen, man musste sich nur nach den Orakeln richten - und diese verstehen.

So erklärte sich auch seine Antwort, die er auf meine briefliche Anfrage schickte: „Ihrem Besuch steht nichts im Wege.“ Als ich ihn später um Erläuterung bat, erklärte er, dass er selbstverständlich mangels anderer Daten die Chinesen über mich befragt habe, und die Auskunft war günstig. Also durfte ich kommen. Dass ich mich dadurch tief in ihn verstricken sollte, dass er mich mindestens so behindern sollte wie fördern, das wurde mir erst ganz allmählich klar, und bis heute trage ich an dieser Hypothek.

Dahinter steht natürlich ein magisches Weltverständnis, das auch der Astrologie zugrundeliegt und der » Synchronizität, einem Konzept, das ebenfalls von Jung stammt. Wenn man die moderne Physik weit genug auslegt, hängt alles mit allem zusammen und alles beeinflusst alles, alles ist möglich. So hat sich » Wolfgang Pauli mit Jung über Synchronizität und alle möglichen anderen rätselhaften Vorkommnisse ausgetauscht.

Ich war gerne bereit, Leuten zu folgen, die anscheinend mehr wussten als ich, und habe deshalb auch viele Jahre lang das I Ging anzuwenden versucht. Mir waren ja ebenfalls eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten unterlaufen, im Grunde allerdings mehr oder weniger Belanglosigkeiten, die ich mir nicht recht erklären konnte, es sei denn durch einen » Pauli-Effekt - bei mir äußerte sich das beispielsweise regelmäßig in Autoproblemen. Aber irgendwann verlor ich mein Interesse und die Probleme mit den Autos hörten ebenfalls auf.

Im Exposé der filmischen Hommage  Erich Engelbrecht – Die Prinzessin und der Drache. Porträt des Künstlers und seiner Arbeit am Beispiel einer Skulptur zum achtzigsten Geburtstag des Künstlers von » Julian Benedikt klingt es so:

  Die Prinzessin und der Drache · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
[...] ist es die Ehefrau des Künstlers, Waltraut Engelbrecht, die den Zugang zum hoch symbolischen Werk Erich Engelbrechts ebnet. “Ich hab den Eindruck, dass mein Mann eigentlich die alten Ideen der Surrealisten erst wirklich zur Durchführung gebracht hat – er hat das wahr gemacht, von dem die geredet haben.”

Chateau des Fougis, ein kleines Schloss inmitten der lieblichen Landschaft der Auvergne. Auf grünen Wiesen ragen die Stahlskulpturen Erich Engelbrechts empor. Mit kalter Präzision gefertigte Stahlriesen blicken den Betrachter wie Wesen aus einem Traum an. Ihre Präsenz ist in einer Weise durchdringend, die die Unwahrscheinlichkeit ihrer Erscheinung in den Hintergrund rücken lässt. Die Figuren Erich Engelbrechts sind Zeugnisse einer Leidenschaft für die Symbole und eines unbedingten Willens zur Formulierung des Unbewussten. Welche Logik in den monochromen bis lebhaft farbigen Gestalten repräsentiert ist, lässt sich nicht unmittelbar erschließen, an der Tatsache aber, dass diese Figuren das Resultat einer komplexen Logik sind, wird kein Betrachter zweifeln.

Erich Engelbrechts Kunst ist von der Auseinandersetzung mit dem Werk C. G. Jungs und seiner Theorie der Archetypen geprägt. Die unbewussten Urerfahrungen, die nach Jung als Urbilder/Archetypen im kollektiven Bewusstsein weiterleben, werden in Engelbrechts surreal anmutenden oder märchenhaften Figuren und Kompositionen adressiert – so auch in “Die Prinzessin und der Drache”.

Leben und Arbeit Erich Engelbrechts sind zudem beeinflusst von der Philosophie des I Ging, des alten chinesischen “Buch der Wandlungen”, und vom Geist Laotses. Den Ereignissen in seinem Leben kann der Mensch demzufolge die individuelle Antwort entnehmen, welche Wegrichtung er einzuschlagen hat. [...]

Die Themen Engelbrechts haben sich über die Jahre kaum verändert: es sind bildlich-symbolhafte Gestaltungen des Unbewussten. Im Sinne Jungs sind uns diese unterschwellig jederzeit präsent bzw. blicken uns an. Die Intuition des Künstlers zeichnet sie in strenger Lektüre auf – als bildhafte Übertragung von kollektiv wirksamen Erfahrungen (Liebe, Gewalt, Angst, Macht, Abhängigkeit). Gewandelt haben sich die Materialien und die Formate. [...]

Die industrielle Herstellung aus hochwertigem Stahl erreicht ein hohes Maß an Abstraktion vom Individuellen. Abstrakt – oder ewig – muten die Skulpturen auch nach ihrer Aufstellung an: Sie wirken wie urzeitliche Fabel- und Traumwesen, die der Landschaft ebenso angehören wie die Kultur dem Menschen angehört. [...]

Die Ehefrau des Künstlers verkörpert das Ideal der aufmerksam „lesenden“ Betrachterin. Mit derselben leidenschaftlichen Rationalität, wie sie der bildschöpfende Ehemann an den Tag legt, interpretiert und buchstabiert Waltraut Engelbrecht die symbolhaften Bildwerke für den Zuschauer. Sie liefert damit einen möglichen Schlüssel zu der eigentümlichen Faszination, welche die Werke Engelbrechts ausstrahlen. Zugleich liefert ihre Methode grundsätzliche Anstöße zur reflektierten Aneignung bildhafter Kunstwerke. Waltraut Engelbrechts lebendige Werkinterpretationen kehren im Film mehrfach als Konzentrationspunkte wieder. Grundlage ihrer Assoziationen ist eine Methode, die gleichsam analog einer Satzanalyse verläuft. [...]

Erich Engelbrecht verkörpert in besonderer Weise einen humanistischen Weltzugang, in dem er praktische Tätigkeitsfelder und Möglichkeiten auslotet, diese sodann für die geistige Reflektion fruchtbar macht um schließlich das Nicht Auflösbare in bildnerischen Kunstwerke zu lebendigem Ausdruck zu bringen.

a.a.O., S. 1-5

Die in diesem Film von der Fertigung bis zur Aufstellung begleitete Skulptur ist sogar 12 m hoch.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog  » Stürenburg 2007

 





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