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» Erich Engelbrecht hatte viele Jahre vor unserem Zusammentreffen ein Gemälde von Picasso gefunden, das er für sehr bedeutsam hielt. Es war ein Kopfporträt einer Frau, vermutlich Ende der Dreißigerjahre entstanden, und enthielt einen Papagei als Vexierbild.
Warum diese Erfindung bedeutsam sein sollte, hat sich mir nicht erschlossen. Da Engelbrecht aber selber jede Menge Vexierbilder produzierte und Picasso für ihn einer der Auslöser gewesen war, sich für eine Laufbahn als Künstler zu entscheiden, konnte ich nachvollziehen, dass dieses Bild für ihn bedeutsam war und er es mir deshalb ans Herz legen wollte.
Ich habe mir sogar, weil er so große Stücke darauf hielt, die (ziemlich große) Mühe gemacht, im Gesamtkatalog von Zervos, den die Kunsthalle Bielefeld besaß und den ich in deren Präsenzbibliothek einsehen konnte, dieses Bild herauszusuchen - ich habe es tatsächlich gefunden. Es war lediglich im Kleinformat und monochrom abgebildet. Im » On-Line Picasso Project habe ich es nicht finden können - soeben habe ich die Jahrgänge 1929 bis 1945 durchsucht. Auch sonst ist es mir nie begegnet.
Picasso hat diese Idee anscheinend nicht weiter verfolgt (was auch Engelbrecht schon klar war), bis auf die Integration von Geschlechtsorganen in Gesichtern, die ihn tatsächlich viele Jahre sehr beschäftigt hat (wovon ich wiederum nicht weiß, ob Engelbrecht das bekannt war). Bekannt ist beispielsweise die Lesart der zurückliegenden Gesichtshälfte als Penis im Gemälde » Le Rêve, der auch in vielen anderen Bildern deutlich angesprochen wird (hier einige wenige schnell herausgesuchte Beispiele aus den Jahren » 1932, 1935, » 1937 und 1941):
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Man braucht auch durchaus ein bisschen Fantasie, um sich hier Fische vorstellen zu können. Wenn man sie so isoliert nebeneinander sieht, scheinen sie fast zu tanzen.
Viel bedeutsamer, so fällt mir jetzt auf, ist die konsequente Behandlung der Flächen als einheitlicher Anstrich, als gleichmäßige Lackierung.
Einheitliche Farbflächen gibt es auch in früheren Bildern, aber diese sind dort oft durchaus malerisch behandelt, sie zeigen also leichte Schattierungen oder Modulationen, auf jeden Fall sind diese nur Teil des Bildes, im Regelfall Hintergrund. › No. 194 ist ein gutes Beispiel dafür. Bei 196 gibt es nur im Schuh der Frau eine Modulation.
Diese flächige Behandlung, so stellte sich später heraus, ist nicht mein Ding, sondern Engelbrechts, und deshalb geriet ich in eine Krise, ohne erkennen zu können, weshalb. Engelbrecht selber kam schließlich drauf, als ich › No. 201 gemalt hatte und mich ganz elend fühlte.
Anlässlich › No. 113 hatte ich ja selbst bemerkt, dass ich mich von ihm hatte vereinnahmen lassen. Da waren es die Bildgegenstände, nun war es die Malweise.
In der großen Deele seines Bauernhauses in Holterdorf bei Melle lehnte das monumentale Gemälde "Speise ging von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken" an der Wand.
Schon damals und auch jetzt wieder fallen mir die vielen phallischen und vaginalen Symbole auf, die Gebärmütter allerorten, aber die Figur, die Anlass für den Titel gab, musste ich erst suchen.
Dieser geht auf die Bibel zurück, wie mir verraten wurde. Das ist das Rätsel, das » Samson den Philistern stellte: » Ri 14,14 EU.
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Ganz rechts oben soll man einen Löwenkopf mit aufgerissenen Maul erkennen können, rechts von der Zielscheibe und der Schere, in dessen Oberkiefer sich der abgerissene Stachel einer Biene befinden mag, oberhalb des Skorpions. An mehreren Stellen des Bildes finden sich auch Strukturen, die man mit gutem Willen als Waben kennzeichnen könnte, allerdings sind diese alle ausgesprochen rund, während Bienenwaben bekanntlich sechseckig sind.
Eine winzige Abbildung im Internet macht es natürlich schwer, sich einen Eindruck vom monumentalen Original zu verschaffen. Aber auch wenn man diesem gegenüberstand, war das nicht leichter, selbst in der relativ großen Deele. Was sollte man mit dieser Fülle von Details nur anfangen? Der Titel ist sicher keine Hilfe.
Engelbrecht malte eigentlich nicht, sondern er zeichnete und kolorierte nachträglich, manchmal. Zeichnen hieß für ihn, die Hand laufen zu lassen und anschließend zu beurteilen, bis wohin die Linie „heilig“ war und wo der Murks begann. Den radierte er dann wieder weg. Das machte er so lange, bis das Werk ausschließlich aus „heiligen“ Linien bestand.
Meine Arbeitsweise war ja nun radikal anders. Ich arbeitete einfach drauflos und das war's. Wenn man so will, habe ich gleich heilige Linien und Farben produziert - jedenfalls so lange, bis ich anfing, mich selbst zu beobachten. Das war dann fatal und resultierte in Krampf (siehe Über die Beobachtung des schöpferischen Prozesses. Improvisierte Rede über Werknummer 226, Hürth 13.3.1983, Kreishaus, Tonbandmitschnitt). Das war dann wohl eine weitere Wirkung des Einflusses Engelbrechts.
Bei diesem meinem Bild 196 fühlte ich mich noch ganz gut. Ich kann mich erinnern, dass ich es am späten Nachmittag malte und der Briefträger klingelte. Eigenartigerweise fragte er mich, was ich mache, vielleicht hatte ich die Pinsel in der Hand und Farbe an den Fingern, und ich sagte: „Ich male ein Bild.“ Das fand er natürlich merkwürdig. Ich war ganz fröhlich und konnte mich der Malerei ganz hingeben.
Was machen diese beiden? Der Mann sitzt vorne, die Frau hinter ihm. Beide sprechen, sie scheint das Wort zu führen und er zu antworten. Sie weiß, wo es langgeht, und er muss es machen. Sie sind beide allein auf dieser Welt, ganz auf sich gestellt, und das ist keine schöne Situation. So ist die Stimmung nicht viel besser wie auf der Rückseite. Es fehlt ihnen ganz entschieden was, aber sie wissen nicht was.
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Die Fische ergeben sich ganz automatisch als Hintergrundfolie der Silhouette, denn die Dreiviertelansicht zeigt eben auch das Profil, das für sich alleine stehen könnte. Was können Fische bedeuten?
Fische sind kalt, glitschig, nass, also nicht unbedingt gerade Sympathieträger. Sie haben eine phallische Form, wenn auch nicht gerade in Reinkultur.
Die einzige überzeugende Assoziation ist die Chiffre für Christen, die schon zu Zeiten der römischen Verfolgung einen » Fisch als Erkennungszeichen vereinbart haben sollen.
Mit mir hatte das aber nichts zu tun. Ich war zwar evangelisch-lutherisch getauft und konfirmiert, aber mit 18 aus der Kirche ausgetreten, als ich das Elternhaus verließ, weil ich mit diesem Verein und seiner Religion nichts verbinden konnte.
So konnten die Fische in den Gesichtern also nur verwirren, genauso wie der Papagei bei Picasso zu nichts führte.
Waltraut Engelbrecht, die Frau des Künstlers, hat - wenn ich mich recht erinnere, als Beitrag zum Katalog seiner Einzelausstellung 1969 in der » Kunsthalle Bielefeld - ein vergleichsweise einfaches Bild namens Elvira beschrieben und gedeutet.
Eine Umsetzung dieses Bildes als Skulptur ist in seinem „» Privatmuseum“ im Park des » Château des Fougis, das Engelbrecht 2000 erworben und mit dem er sich ein unerhörtes Denkmal gesetzt hat, in » Thionne in der » Auvergne in Frankreich aufgestellt: » Elvira.
Stellt man sich diese Skulptur auf eine Platte projiziert vor, hat man das seinerzeit besprochene Gemälde - oder umgekehrt: schneidet man aus der Platte die Figur aus, erhält man die Skulptur.
Ich habe versucht, diesen Text über Elvira zu verstehen, und kann leider nicht behaupten, erfolgreich gewesen zu sein, habe das Bild dadurch auch nicht besser verstanden und nach wie vor auch nicht mögen können - obwohl ich mich bemüht habe, schließlich war Engelbrecht so etwas wie mein Mentor, den und dessen Arbeiten wollte ich unbedingt gut finden.
Das Werk wird in Einzelteile zerlegt und diese mit Bedeutungen belegt, so dass dieses schließlich wie eine Illustration der Deutung erscheint. Insbesondere geht das Werk vollkommen in der Deutung auf. Damit wäre es eigentlich als Kunstwerk durchgefallen, wenn ich die übliche Interpretation der Natur eines Kunstwerks richtig verstehe.
Es ist aber wohl eigentlich anders gemeint: Durch das Werk wird etwas offenbar, das vorher nicht vorhanden war. Die Produktion des Werks geschieht ja ohne den Einsatz des Intellekts, wenn ich Engelbrecht richtig verstanden habe. Seine Hand arbeitet blind, wird von seinem Unbewussten oder Unterbewusstsein oder was auch immer gelenkt.
Diesem wird nun eine höhere Weisheit zugestanden (woher auch immer die kommen mag, die » Archetypen lassen grüßen), die der Intellekt durch Interpretation des Kunstwerks dem Verstand zugänglich machen kann.
Dieses Verständnis des Wesens und der Funktion von Kunst hat mir damals durchaus gut gefallen und seinen Niederschlag auch in meinem Basler Manifest von 1984 gefunden:
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Aber wird hier wirklich etwas Neues entdeckt, neue Erkenntnis geschöpft? Oder nur schon vorher Gewusstes allenfalls neu formuliert?
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Wenn es sich bei den Bildwerken um insgeheim in der Seele oder dem individuellen oder kollektiven Unbewussten schlummernden Bildern (Archetypen) handeln sollte - warum werden diese nicht unmittelbar wirksam, warum erkennt man sie nicht sofort, warum wirken sie so fremd und sperrig und wollen sich gar nicht erschließen?
Weitere Abbildungen zeigen die gigantischen Ausmaße seiner Monumentalskulpturen - die man auch im Satellitenbild deutlich erkennen kann - durch die Konfrontation mit einzelnen aufrecht danebenstehenden Menschen und außerdem das Schema des Grundrisses des Parks, der seinerseits natürlich von Engelbrecht entworfen wurde.
In der Satellitenansicht sieht die Struktur des Parks fast aus wie ein Weinglas mit Wulst am Stiel und angegossenem Anker, ganz passend für den passionierten Weintrinker Engelbrecht.
Wenn man vom Schloss aus schaut wie im » Zugangsplan, ist es ein Querschnitt durch einen Pilz mit eingearbeitetem Kreuz, wobei der Querbalken aber, wie man am Satellitenbild sieht, zu kurz, schief und auch asymmetrisch ist, um als Symbol des Christentums durchzugehen - die Planzeichnung ist einfach gequetscht, vermittelt einen falschen Eindruck.
Die Säule im Zentrum des folgenden Bildes ist gar keine, sondern die Seitenansicht einer Monumentalskulptur. Diese sind nämlich in der Regel aus sogenanntem Grobblech geschnitten, also aus starken Eisenplatten, die hier etwa 10 cm dick sind, selten (meines Wissens nur einmal) aus mehreren solcher zusammengesetzt, wobei diese planen Einzelflächen sich gewissermaßen durchschneiden, verschränken oder durchdringen.
So erklärt sich auch das enorme Gewicht dieser Skulpturen (» Der Schmied: 10m hoch, 130 Tonnen, » EINFÜHRUNG). Man kann sich leicht vorstellen, wie teuer alleine das Material ist, auch wenn Eisen oder Stahl nicht gerade zu den teuren Metallen zählt, und wie teuer der Transport sein muss, der ja nicht von normalen Lastzügen bewältigt werden kann, weil das Gesamtgewicht eines Lkw beschränkt ist (in Deutschland 40 t, in Frankreich ebenfalls, seit Anfang diesen Jahres leicht erhöht auf 44 t). Das geht also nur mittels eines Schwerlast-Sondertransports.
Das Modell einer solchen Skulptur kann eine reine Umrisszeichnung sein, die Ausführung kann in beliebigen Dimensionen und Materialien von (Kunst-)Handwerkern vorgenommen werden, eben auch als Brosche oder als Tischplastik. So sieht man den Schreiber auf einem der Fotos in einer Ausführung, die vielleicht 20 cm hoch ist: » Biografie des Künstlers. Dort scheint der weiße Anstrich sogar mit Schriftzeichen verziert zu sein.
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Bei dieser Gelegenheit habe ich von Engelbrechts Tod 2011 erfahren: » Biografie. Möge seine Seele sich der Gegenwart Gottes erfreuen!
Erich Engelbrecht glaubte wie so viele Menschen unserer Zeit an die Selbsterrettung des Menschen, die ja nur allzu leicht zur Selbstvergottung führt. Gott kam bei ihm nicht vor. Der Intellekt und die Psychologie, das sogenannte Unterbewusstsein, speziell in der Lesart von » C.G. Jung, das reichte ihm.
Ach ja, und über Jung vermittelt hielt er große Stücke auf „die Chinesen“, womit er das » I Ging meinte, das ich bei ihm kennenlernte. Das war sein Handwerkszeug, damit arbeitete er ständig. Mittels der 64 Zeichen und deren Wandlungen versuchte er die Welt zu verstehen. Sämtliche Situationen der Welt mit ihren Entwicklungstendenzen sollten in diesen Konstellationen eingefangen sein, gleichsam wie Archetypen. Seiner Meinung nach hatten die Chinesen die Weisheit mit Löffeln gefressen, man musste sich nur nach den Orakeln richten - und diese verstehen.
So erklärte sich auch seine Antwort, die er auf meine briefliche Anfrage schickte: „Ihrem Besuch steht nichts im Wege.“ Als ich ihn später um Erläuterung bat, erklärte er, dass er selbstverständlich mangels anderer Daten die Chinesen über mich befragt habe, und die Auskunft war günstig. Also durfte ich kommen. Dass ich mich dadurch tief in ihn verstricken sollte, dass er mich mindestens so behindern sollte wie fördern, das wurde mir erst ganz allmählich klar, und bis heute trage ich an dieser Hypothek.
Dahinter steht natürlich ein magisches Weltverständnis, das auch der Astrologie zugrundeliegt und der » Synchronizität, einem Konzept, das ebenfalls von Jung stammt. Wenn man die moderne Physik weit genug auslegt, hängt alles mit allem zusammen und alles beeinflusst alles, alles ist möglich. So hat sich » Wolfgang Pauli mit Jung über Synchronizität und alle möglichen anderen rätselhaften Vorkommnisse ausgetauscht.
Ich war gerne bereit, Leuten zu folgen, die anscheinend mehr wussten als ich, und habe deshalb auch viele Jahre lang das I Ging anzuwenden versucht. Mir waren ja ebenfalls eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten unterlaufen, im Grunde allerdings mehr oder weniger Belanglosigkeiten, die ich mir nicht recht erklären konnte, es sei denn durch einen » Pauli-Effekt - bei mir äußerte sich das beispielsweise regelmäßig in Autoproblemen. Aber irgendwann verlor ich mein Interesse und die Probleme mit den Autos hörten ebenfalls auf.
Im Exposé der filmischen Hommage Erich Engelbrecht – Die Prinzessin und der Drache. Porträt des Künstlers und seiner Arbeit am Beispiel einer Skulptur zum achtzigsten Geburtstag des Künstlers von » Julian Benedikt klingt es so:
Die in diesem Film von der Fertigung bis zur Aufstellung begleitete Skulptur ist sogar 12 m hoch. * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007