Kommentar 04.10.2012
Auch dieses Bild liebe ich sehr, aber soweit ich mich erinnern kann, habe ich es nie gezeigt. Als es fertig war, habe ich mir eine Geschichte dazu ausgedacht. Die alten Leutchen haben eine Tochter gehabt, die in der Büste verewigt worden ist. Sie lebt also nicht mehr, und daher empfinden die Eltern eine so niederschmetternde Traurigkeit, eine bodenlose Hoffnungslosigkeit, eine nicht zu beschwichtigende Verständnislosigkeit für das widernatürliche Unglück.
Eltern sollten vor ihren Kindern sterben und nicht umgekehrt. An der Wand die Ahnengalerie. Das sind natürlich Rittersleute, die so gar nicht zu diesen einfachen Alten passen wollen.
* 31.01.2013 Ich habe dieses Bild nicht nur nie gezeigt, sondern auch nie aufgehängt. Oder habe ich es doch 1983 im Leopold-Hoesch-Museum gezeigt? Ich weiß es nicht. Komisch, dass ich das selbst damals gar nicht dokumentiert habe.
Wenn mir wieder die Fotos von Friedrich Riehl aus der Ausstellung über den Weg laufen, könnte ich mal nachschauen. Er hat freilich nur einige Ansichten aufgenommen und die Ausstellung nicht systematisch durchfotografiert. Wenn es dort nicht auftaucht, ist das also kein Gegenbeweis.
Besonders in der
Museum-Simulation, im direkten Vergleich, wird deutlich, wie gut das Bild eigentlich ist. Warum wirkt es nicht wie eine
» Karikatur? Warum wirkt es nicht wie eine
» Witzzeichnung? Von beidem hat es Elemente, aber dennoch könnte es nicht dafür durchgehen. Selbst wenn man versuchen sollte, durch Bildunterschrift oder Sprechblasen daraus einen Witz zu machen, würde man wohl scheitern müssen. Das kann man dem Bild nicht antun. Dazu ist es viel zu stark.
Das Buch
» Caricature von
» Ernst Kris und
» Ernst Gombrich aus dem Jahr 1940 habe ich erworben in der Hoffnung, Erhellendes über das Thema zu finden; aber ich war eher enttäuscht und habe es erst einmal zur Seite gelegt.
» Bernd Pfarr war Cartoonist und hat Gemälde geschaffen, die aber dennoch eindeutig Cartoons sind - was auch ohne Titel sofort klar ist (
» Nachruf im Spiegel: "Dem lach' ich locker entgegen"). Umgekehrt sieht man den Cartoons nicht an, dass sie Reproduktionen von Gemälden sind. Die Technik ist hier wohl eher Nebensache.
Nein, eine Karikatur oder ein Cartoon ist das nicht, aber könnte es sich nicht vielleicht um Kitsch handeln?
» Denis Dutton beschäftigt sich ganz gegen Ende seines hochinteressanten und amüsanten Buches
» The Art Instinct mit Kitsch:
| The first tear is what we shed in the presence of a tragic, pitiful, or perhaps beautiful event. The second tear is shed in recognition of our own sensitive nature, our remarkable ability to feel such pity, to understand such pathos or beauty. A love of kitsch is therefore essentially self-congratulatory. In a withering critique of Sir Luke Fildes's The Doctor (1891, Tage Gallery), Clive Bell says that this famous portrayal of a thoughtful physician with a sick child creates what he calls a "false" emotion. What the painting gives us "is not pity and admiration but a sense of complacency in our own pitifulness and generosity." The kitsch object openly declares itself to be "beautiful," "profound," "moving," or "important." But it does not bother trying to embody these qualities, because it is actually about its audience, or its owner. The ultimate reference point for kitsch is always me: my needs, my tastes, my deep feelings, my worthy interests, my admirable morality. [...] Kitsch shows you nothing genuinely new, changes nothing in your bright shining soul; to the contrary, it congratulates you for being exactly the refined person you already are. [...] Literature and philosophy too can offer kitsch by way of undemanding analysis of life's problems through trite insights into the secrets of the universe. In this respect, Hermann Hesse's pretentious mysticism and Khalil Gibran's little messages dressed up in pseudo-biblical cadences count as kitsch. [...] Of course, honest reproductions of Renaissance masterpieces or Cézanne landscapes hanging in dorm rooms or homes are no more kitsch than recordings of great musical performances. Die erste Träne vergießen wir angesichts eines tragischen, bedauerlichen oder vielleicht schönen Ereignisses. Die zweite gilt unserer eigenen gefühlvollen Natur, unserer bemerkenswerten Fähigkeit, ein solches Mitleid zu empfinden, ein solches Pathos oder eine solche Schönheit zu verstehen. Liebe von Kitsch ist daher im Wesentlichen Eigenlob. » Clive Bell führt in einer vernichtenden Kritik des Gemäldes » Der Doktor von Sir » Luke Fildes (1891, Tate Gallery) aus, dass dieses berühmte Portrait eines nachdenklichen Arztes mit einem kranken Kind ein "falsches" Gefühl erzeugt. Das Gemälde erweckt in uns "nicht Mitleid und Bewunderung, sondern ein Gefühl der Selbstzufriedenheit angesichts unserer eigenen Erbärmlichkeit und Großzügigkeit."
Das Kitsch-Objekt erklärt sich selbst ganz offen als schön, bedeutend, berührend oder wichtig. Es gibt sich aber keine Mühe, diese Eigenschaften zu verkörpern, weil es ihm eigentlich um sein Publikum, seinen Besitzer geht. Der letzte Bezugspunkt für Kitsch ist immer "mein": meine Bedürfnisse, mein Geschmack, meine tiefen Gefühle, meine wertvollen Vorlieben, meine bewundernswerte Gesinnung.
Kitsch zeigt Ihnen nichts wirklich Neues, ändert nichts an Ihrer hell leuchtenden Seele; im Gegenteil, Kitsch gratuliert Ihnen, genau die gebildete Persönlichkeit zu sein, die Sie bereits sind. [...] Literatur und Philosophie können ebenfalls Kitsch produzieren, indem die Probleme des Lebens durch anspruchslose Betrachtungen zu banalen Einsichten in die Geheimnisse des Universums aufgelöst werden. Der anmaßende Mystizismus » Hermann Hesses und die in pseudo-biblische Ausdrucksweise gekleideten kleinen Botschaften » Khalil Gibrans sind definitiv Kitsch.
Getreue Reproduktionen von Meisterwerken der » Renaissance oder Landschaften » Cézannes in Studentenbuden oder Wohnzimmern sind natürlich genausowenig Kitsch wie Aufnahmen großer musikalischer Darbietungen.
a.a.O., p. 241,242 | | |
In diesem Licht kann ich mein Bild nicht als Kitsch werten. Die Kriterien, die Dutton aufzählt, sind alle nicht erfüllt. Die Erörterung des Begriffs in der Wikipedia (
» Kitsch) zeigt, dass dieser recht neu, nämlich ein modernes Phänomen des 19. Jahrhunderts ist, nicht übersetzbar, also auch in anderen Sprachen nicht bekannt, dennoch aber allgegenwärtig und peinlich deutlich in allen möglichen Äußerungen, nicht nur in der Kunst selbst, wobei dennoch im Einzelnen oft schwer um die Deutung gerungen wird.
Die eingangs zitierte Beschreibung aus dem Werkverzeichnis ist schon recht präzise, würdigt aber die Skulptur zu wenig. Die dargestellte junge Frau ist ganz offensichtlich hochgebildet, emanzipiert, sehr selbstbewusst, ihrem Milieu entwachsen. Ihre Eltern sind zweifellos stolz auf sie, können sie aber nicht recht verstehen, da sie in einer ganz anderen Welt lebt. Die Welt der Vergangenheit, der adligen Vorfahren, ist für die alten Leute ebenso fremd. Es sind nur Erinnerungsstücke. Sie selber haben so gar nichts Adeliges an sich.
Der graue Ritter ist zweifellos ein derber Bursche, ein Draufgänger, der sich zu nehmen weiß, was er sich schuldig zu sein glaubt, das gekrönte Fräulein war vermutlich ebenfalls nicht besonders gebildet, aber bestimmt hinreichend eingebildet.
Beide Figuren haben merkwürdigerweise keine Arme. Beim Ritter kann man sich vorstellen, dass er diese unter einem Umhang verborgen hat, während man sich das bei der Edelfrau kaum vorstellen kann.
Demgegenüber ist der eine Arm der Mutter sehr betont, besonders durch die Hand, die auf dem Tischchen aufliegt, beide Arme des Vaters sind deutlich gezeichnet, wobei nur eine Hand angedeutet ist, die andere in den Ärmel zurückgezogen scheint.
Die beiden Figuren in den Bildern an der Wand scheinen ihr Augenmerk auf die Skulptur zu richten, während die Eltern zwar ebenfalls auf die Skulptur bezogen sind, sie aber geradezu demonstrativ nicht in den Blick nehmen. Diese durch die Skulptur verewigte wunderbare Blume ist demnach einem uralten Stamme entwachsen, aber dieser hat sich damit anscheinend erschöpft, so wie sich in Goethe oder Mozart ein Geschlecht vollendet hat, nach langem Anlauf. Denn auch das scheint mir deutlich: Diese junge Frau war das einzige Kind ihrer Eltern, alleinstehend und hatte keine Nachkommen.
Das alles ist natürlich freischwebende Fantasie, inhaltlich durch nichts zu stützen. Allein die Tatsache, dass eine Skulptur auf einem Tisch steht, besagt ja beispielsweise noch längst nicht, dass die portraitierte Person verstorben ist. Das alles ergibt sich nur durch das Gefühl, und dieses Gefühl wird durch das Bild verursacht, das Gefühl gehört zu dem Bild dazu und muss daher als Teil der Aussage gewertet werden.
Denn wenn der Kunsthistoriker sagt „sehe ich recht“, so bezieht er sich nicht so sehr auf objektiv wahrnehmbare Sachverhalte, sondern auf durch diese hervorgerufene Gefühle.
Sehen heißt also nicht nur, den unmittelbaren Augeneindruck wahrzunehmen, sondern die Bedeutung zu erschließen und aufzunehmen.
Am augenfälligsten ist dies bei Portraits. Wir wollen ja nicht sehen, was ein zufälliger Schnappschuss uns verrät, nämlich wie es sich mit den Proportionen innerhalb eines Gesichtes verhält, sondern welche Person wir vor uns haben. Wir wollen Wahrheiten über einen Menschen erfahren. Schnappschüsse können uns solche Wahrheiten liefern, von einem Portrait verlangen wir sie.
Ganz abgesehen von den inhaltlichen Gegebenheiten wandern meine Augen mit großem Vergnügen auf diesem Bild herum, je länger je lieber, und genießen die Formen und Farben, die Fülle der Erfindungen, die Sicherheit, mit der jeder Strich sitzt, jede Farbe genau passt, mit jedem Strich und jeder Farbe neue Akzente und Kontraste gesetzt, Stilmittel unterschiedlichster Art kombiniert, mit einfachsten Mitteln charakteristische Aussagen getroffen werden.
Man schaue sich beispielsweise einfach nur die Schuhe und Beine der Eltern an - es würde mich nicht wundern, wenn die alte Frau Probleme mit ihren Unterschenkeln hätte und Stützstrümpfe tragen müsste.
Das machte mich neugierig, wie sich mein Bild mit anderen Meisterwerken dieser Größe hält. Glücklicherweise kann man das ja online sehr leicht testen. Der Einfachheit halber bediene ich mich einfach der Bilder, die ich in anderem Zusammenhang schon benutzt habe.
Insbesondere aber interessierte mich, wie mein Bild sich neben einer der beiden Versionen der drei Musikanten von Picasso macht, die ich als junger Mann Anfang der Siebziger mit großer Ehrfurcht als Ausgeburt künstlerischer Glanzleistung eifrig studiert habe und trotzdem nicht recht einsehen wollte und konnte, warum diese Bilder so bedeutend sein sollen. Die Version aus dem
» Museum of Modern Art findet sich online unter
» Drei Musiker.
* Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog
» Stürenburg 2007