Die Erkenntnis, dass er in seinen Stillleben und Portraits aus der Vauvenargues-Zeit mit ganz groben Mitteln gearbeitet hatte, mit nur wenigen Farben, Schwarz, Grün, Rot und dem Weiß der Leinwand, mit groben Pinseln und wenigen Strichen etwas hingeworfen und für vollendet erklärt (siehe insbesondere »Femme à la mantille sur fond rouge I), entfachte in mir die Energie und den Mut, ganz spontan ein Bild zu malen, ohne überhaupt irgendetwas im Sinn zu haben.
Das war eine Revolution, aber in meiner Verzweiflung habe ich es gar nicht bemerkt! Nach zwei Stunden hatte ich einen blauen Mann und war sehr zufrieden. Stolz zeigte ich ihn meiner Freundin, die allerdings etwas zu bemäkeln hatte - die Kinnpartie oder so. Daraufhin setzte ich noch einmal an und alles ging verloren!
Ich war wieder verzweifelt! Wie konnte das sein? Weitere zwei Stunden kämpfte ich verzweifelt darum, den ursprünglichen Zustand wieder zu erreichen. Ganz ist es mir nicht gelungen, aber schließlich konnte ich einfach nicht mehr.
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Sehr bemerkenswert ist das Glücksgefühl, das ich bei der Arbeit und nach der Vollendung erlebte. Einmal ist ein solches Gefühl ja nicht selbstverständlich, zum anderen ist es gerade bei diesem Bild eher unverständlich. Im Vergleich mit den vorherigen Bildern wirkt es sogar wie ein Rückschritt. Ich habe aber offenbar etwas gespürt, was nicht wegzuleugnen war.
Und ähnlich wie bei der Frage, warum eins der Madonnenbilder so ganz offensichtlich besser war als die anderen (siehe Kommentar › Nummer 11), musste ich mich auch hier mit dem Gefühl zufriedengeben. Gefühle aber gehörten in meine Welt nicht eigentlich nicht hinein, es sei denn es handele sich um romantische Beziehungen.
Obwohl Picasso mir durch sein Vorbild die Energie und Kraft gegeben hatte, einfach loszulegen und sämtliche Vorstellungen und Vorsätze hinter mir zu lassen, hat das Ergebnis mit seinem Werk nichts zu tun. Er hat plakativ und holzschnittartig gearbeitet, während dieses Bild versucht, realistisch zu sein und Oberflächen modelliert.
Es hat in diesem Sinne viel mehr mit Picassos Frühwerk zu tun, in dem er bekanntlich ebenfalls die blaue Farbe für Hauttöne einsetzte. Verglichen damit aber ist dieses Werk sowohl viel naiver als auch viel weniger sentimental. In diesem Bild findet man tatsächlich etwas von mir, während man in den Bildern Picassos nichts von ihm findet, vielleicht mit Ausnahme des Werkes »La vie, das ursprünglich als Selbstportrait angelegt war, wie erhaltene Skizzen beweisen (»La vie [Étude]). Später hat er seinen eigenen Kopf gegen den seines Freundes Casagema ausgewechselt (»La mort de Carles Casagemas).
Im indischen Kulturkreis ist die blaue Farbe als Gesichtsfarbe allgegenwärtig; damit werden Göttlichkeiten bezeichnet. Das ist vielleicht interessant, insbesondere weil ich nicht glaube, dass mir das zu diesem Zeitpunkt bekannt war. Dass dieser Mann tatsächlich auch indisch wirkt, ist mir nicht aufgegangen.
Der Hintergrund ist wohl Krapplack und es sieht aus, als hätte ich einen Großteil der Farbe von der Weichfaserplatte wieder abgewaschen. Das Hemd ist im wärmeren Karminrot gehalten und genialisch locker skizziert. Der Gegensatz zwischen den warmen und kalten Rottönen bestimmt zusammen mit den Blautönen das Bild. Die Übermacht an Rot legt nahe, dass die Probleme, die den Mann bedrücken, durchaus heiß und bedrängend sind.
Abgesehen von den technischen und stilistischen Unzulänglichkeiten, die das Bild als typische Hobbyarbeit erscheinen lässt (was man von den vorherigen nicht sagen konnte), fällt die Innigkeit des Ausdrucks ins Auge. Dieser Mann schaut nach innen, und das ist neu. Er ist ernst und scheint bekümmert. Was ihn bekümmert, wird freilich nicht deutlich. Am Gesicht sieht man, dass ich mich ziemlich abgequält habe. Wie das Bild vor der Überarbeitung ausgesehen hat, kann man nur ahnen.
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Linien können exakt reproduziert werden, bei Farben ist das aus vielfältigen technischen Gründen so gut wie ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass Farben bei unterschiedlicher Beleuchtung völlig unterschiedlich aussehen. Und schließlich weiß keiner, wie eine bestimmte Farbe von einem anderen wahrgenommen wird.
Interessanterweise wirken meine Bilder auch in Schwarzweiß; die Bücher, die ich 1998 produziert habe, darunter das erste komplette Werkverzeichnis, sind auf meinem Laserdrucker produziert worden, selbstverständlich ohne Farben. Die Versuche zur Farbreproduktion damals waren noch sehr unbefriedigend. Farblaserdrucker gab es noch gar nicht.
Auch im Buchdruck kam die Revolution der Farbe ja erst Anfang der 70er Jahre. Mein großes Rembrandt-Buch » Horst Gerson: Titel Rembrandt Gemälde. Gesamtwerk von 1968 ist überwiegend schwarzweiß. Mein erstes Picasso-Buch Gemälde und Grafik. Einleitung von Jürgen Gustav. Ramerding, Berghaus Verlag, (1972) hatte einige farbige Abbildungen auf schlechtem Papier und einige auf Hochglanzpapier, die einzeln eingeklebt waren. Wenn man das mit der großen Taschen-Ausgabe » Picasso von Warncke (2004) vergleicht!
Enorme Fortschritte sind erzielt worden, gleichsam ein Umsturz hinsichtlich Farb- und Papierqualität und gleichzeitiger Kostensenkung. Was Goethe oder Rembrandt dazu gesagt hätten? * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007
Da das Picasso Project seit spätestens 24.01.2011 gesperrt ist, führt ein direkter Link nicht mehr zum Ziel; daher bin ich gezwungen, die erwähnten Werke hier zu reproduzieren und berufe mich dabei auf » Fair Use bzw. das » Zitatrecht.