180 cm - 71 inch
Werkgröße 42×30cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 14
Ölkreide / Papier
10.11.1972, » 42×30 cm (17×12")

» Kommentar

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Kommentar 17.12.2010
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Ich sitze wieder vor dem Spiegel und probiere eine neue Technik aus: Ölkreide. Ich hatte damit gar keine Erfahrungen und mir einen schönen, professionellen Holzkasten gekauft, den ich heute noch besitze. Diesmal habe ich ein Hemd an, man sieht im offenen Kragen sogar das Unterhemd. Merkwürdigerweise habe ich hier einen Seitenscheitel; vielleicht sind die Haare an diesem Tag gerade so gefallen.

Der Blick ist ernst und intensiv - wieder schaut der Portraitierte den Betrachter genau an. Man hat nicht so sehr den Eindruck, dass der Maler sich selbst anschaut, als vielmehr, dass die Person im Bild den Betrachter fixiert. Im Gegensatz zu  Nummer 12 ist hier die Selbstgewissheit, die Zuversicht, die fordernde Haltung, die dort ganz rein auftrat, hier sehr stark überlagert von Selbstzweifeln und Angst. So ähnlich hätte auch » Vincent van Gogh schauen können.

Die Selbstportraits von Vincent gehören zu den stärksten Arbeiten, die er hinterlassen hat. Merkwürdigerweise hat er immer außen gesucht, was nur drinnen zu finden ist. Vielleicht hat das mit seinem christlichen Elternhaus zu tun: So wollte er ja gerne die anderen retten, wo es doch nur darum geht, sich selbst zu retten. Da kann man vielleicht auch noch was erreichen, während die anderen sich ja gar nicht erretten lassen wollen.

Aber ich habe gut reden. Ich saß da vor dem Spiegel und wusste auch nicht, worum es ging. Dabei hatte ich es direkt vor meiner Nase. Was war mir wichtig? Nichts fiel mir ein, aber es war doch sonnenklar: Ich selbst musste mir wichtig sein, wer denn sonst? Für mein Leben war ich selbst verantwortlich und nur ich allein, niemand konnte mir das abnehmen. Ich musste alles daransetzen, dieses Leben fruchtbar zu machen. Aber was sollte das heißen?

Es war noch gar nicht so lange her, dass ich Abitur gemacht hatte. Als Schulsprecher hielt ich die Abiturrede. Ich beklagte mich darüber, dass ich mich für das Leben gar nicht gerüstet fühlte. Kurz danach saß ich mit einer Freundin zusammen und wir fragten uns, was uns im Leben erwarte. Vor ein paar Jahren gab sie mir den Brief zurück, den wir damals schrieben. Es war mir peinlich, meinen Lebensentwurf zu lesen - wie naiv ich war!

Und nun war ich unversehens erwachsen geworden - jedenfalls musste man das wohl annehmen. Ich war volljährig, lebte seit ein paar Jahren in wilder Ehe mit einer Frau, die ich nach besten Kräften liebte, hatte ein Mathematikstudium erfolgreich beendet und bereitete mich auf den nächsten Schritt in der professionellen Entwicklung vor, die Promotion. Aber doch schien irgendwo der Zweifel zu wohnen. Ich konnte so etwas wohl machen, aber keine Leidenschaft für die Mathematik empfinden. War das nötig? Konnte man nicht ein ganz gewöhnliches Leben führen und einfach seine Pflicht tun? Warum musste ich mich vor den Spiegel setzen und mich selbst zeichnen? Irgendetwas quälte mich, und das wird in diesem Portrait sichtbar. Der Mann fühlt sich nicht wohl in seiner Haut.

 





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