180 cm - 71 inch
Werkgröße 169×66cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 131
Öl / Spanplatte
22.03.1974 - 25.03.1974, » 169×66 cm (67×26")
Rückseite von » 100

» Kommentar

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Kommentar
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Die Rückseite der Tafel, diesmal im Hochformat. *

Das Schlaf- und Arbeitszimmer in unserer Studentenwohnung war farblich mit violett und weinrot gestaltet. Zwei Türblätter (so etwas gibt es heute nicht mehr) wurden vor dem Fenster zu einer Arbeitsplatte zusammengefügt, die über die gesamte Breite des Zimmers ging, zwei weitere Türblätter wurden nebeneinander montiert, mit Rollen versehen, durch einen Rahmen fixiert und ergaben das Bett, und eine Hartfaserplatte wurde violett gestrichenen, mit einer Ablage Leiste versehen, als Tafel deklariert und an der Wand montiert. Ein Spiegel in Lebensgröße an der gegenüberliegenden Wand vervollständigte den Wandschmuck. Bilder waren nicht vorgesehen.

Da die Tafel dann doch nicht benutzt wurde, habe ich sie eines Tages als Malgrund verwendet, als ich an Materialknappheit litt. Und da sich dieser Zustand nicht besserte, bemalte ich kurzerhand auch die Rückseite, was sich ja bei den Hartfaserplatten schon bewährt hatte. Und da sich Hochformat und Querformat bei zunehmendem Rechteckformat sehr unterscheiden, ich immer noch neugierig war, ob sich auf jeder Malfläche etwas materialisieren würde, was der Mühe wert war, drehte ich in diesem Fall die Tafel einfach um.

Und wiederum setzte ich eine Frau in diese Fläche, so dass ringsherum kaum Platz blieb, aber diesmal war sie nicht jung, nackt und schön, sondern alt, hässlich und bekleidet. Konnte mir so etwas gefallen? Natürlich nicht. Ach du lieber! Was sollte das denn?

Wieder ein Fall von „dieses Bild braucht einen Freund“.


No. 1 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 130 60x45cm, 19.03.1974  » 123 45x52cm, 08.03.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 1 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 130 60x45cm, 19.03.1974 sold/verkauft » 123 45x52cm, 08.03.1974
 
Zumindest der Kopf der Frau ist der berühmtesten Erfindung Picassos geschuldet, nämlich die Nase als Auswuchs der Wange erscheinen zu lassen. Im Alter hat er auch einige Bilder produziert, bei denen die Augen aneinander stoßen, ja er hat sogar mehrfach ein einzelnes Auge mit zwei Pupillen verwendet. Alle diese damals völlig abartigen und infolgedessen auch erschreckenden Gestaltungen sind heute Allgemeingut und werden unter anderem von Karikaturisten wie selbstverständlich eingesetzt.

Dabei zeigt sich, wie auch an diesem Bild, dass die willkürliche Versetzung von Körperteilen nicht unbedingt grausam oder sadistisch erscheinen muss. Dieser alte Dame wirkt ja durchaus liebenswürdig und lebendig, lebensbejahend, verschmitzt und gewitzt.


No. 2 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 127 123x80cm, 11.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 2 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 127 123x80cm, 11.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974
 
No. 3 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 128 100x76cm, 16.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 3 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 128 100x76cm, 16.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974
 
No. 4 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 129 123x96cm, 18.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 4 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 129 123x96cm, 18.03.1974 » 123 45x52cm, 08.03.1974
 
No. 5 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 144 124x90cm, 01.01.1974  » 137 60x45cm, 12.04.1974  · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 5 » 131 169x66cm, 22.03.1974 » 144 124x90cm, 01.01.1974 sold/verkauft » 137 60x45cm, 12.04.1974 sold/verkauft
 
So, mit der letzten Anpaarung habe ich jetzt 131 einen Schlag versetzt. Da kann dieses Bild nicht mehr mithalten. Das liegt natürlich auch an der dünnen Malweise. Ungefähr in dieser Zeit muss ich Erika nach Paris begleitet haben, die dort einen Tanzkurs gebucht hatte. Ich bin derweil durch die Museen gezogen, bis ich nicht mehr konnte. Dabei habe ich natürlich auch ausgiebig die Picassos studiert. Insbesondere haben mich zwei kleine Stillleben beeindruckt, die mit sehr viel Farbe, fast weiß-monochrom, gemalt waren. Daraufhin habe ich versucht, solche Effekte mit Lack zu simulieren; 137 ist ein gutes Beispiel dafür. Nach meinem Dafürhalten wurden die Bilder daraufhin generell besser, sehr viel besser.

Die sinnliche Qualität von Farbe ist nicht zu unterschätzen. Schade, dass ich fast nie aus dem Vollen schöpfen konnte. Aber vielleicht bedingt das eine das andere. Hätte ich sinnlicher gemalt, hätte ich vielleicht auch größeren kommerziellen Erfolg gehabt und mir ohne weiteres den Materialverbrauch erlauben können. Wer weiß?

Freilich wird diese sinnliche Qualität erst aus der Nähe wirklich erfahrbar, und vielleicht ist diese sinnliche Qualität bei diesem Bild nicht gar so gering, wie ich annehme. Wenn man sich die größere Fassung anschaut, ergibt sich schon eine Menge Vergnügen für die Augen. Besonders bemerkenswert sind natürlich die beiden unterschiedlich gestalten Augen und der eigenartige Mund der Dame, aber auch der Hut und die Haare sind nicht schlecht. Ich glaube, ich entwickle mich zu einem Freund dieses Bildes!

Auch der Leib und die Art, wie sie sitzt, ihre Beine, ihre Schuhe, ihr Kleid, der Unterrock, die Spitzen, der Stuhl beziehungsweise das wenige, was man von ihm sieht, alles das ist eigentlich richtig gut und erheiternd. Besonders interessant sind natürlich die beiden Hände, die merkwürdigerweise jeweils nur zwei Finger haben. Damit ergibt sich natürlich die Assoziation kopulieren der Körper, jedenfalls wenn man, wie ich durch » Arno Schmidt, in dieser Hinsicht sensibilisiert ist.

Wie kommt es nur, dass ich trotz dieser breiartigen Gestaltung eine Persönlichkeit wahrzunehmen glaube, die Alter, Geschlecht, Temperament, Bestimmtheit besitzt? Aber diese Frage ist dieselbe wie bei Karikaturen. Vielleicht sollte ich doch einmal das Buch » The Principles of Caricature von » Ernst Gombrich und » Ernst Kris über Karikaturen lesen (leider nur antiquarisch zu haben, wurde nicht wieder aufgelegt - o.k., gekauft).

Zufällig las ich gerade ein Interview mit dem Physiker » Heinrich Rohrer, der dafür plädiert, auch in der Naturwissenschaft die Dinge erst einmal so hinzunehmen, wie sie sich ergeben. Sollte das nicht in Bezug auf die Kunst noch mehr gelten?

Die Einschränkung ist ja auch dadurch gegeben, dass die Natur nur die Fragen beantwortet, die man ihr stellt. Kommen wir immer näher an die «Wahrheit» heran, oder zeigen unterschiedliche wissenschaftliche Theorien und Experimente uns einfach stets einen neuen Aspekt der Natur?

Ich glaube, die Natur beantwortet viel mehr als nur das, wonach man gerade spezifisch fragt. Stichworte Erfindungen und Entdeckungen: Erfindungen oder Entdeckungen sind ja nicht etwas, wonach gefragt wurde; sondern sie resultieren aus einem Experiment, das die Aufmerksamkeit auf einen Vorgang zum Beispiel in der Natur richtet, der nicht vorausgesehen war. Alles, was in dem Sinne neu ist, ist nicht erfragt worden, sondern passiert. Um es zu erkennen, muss man es allerdings vorurteilslos betrachten, bereit sein, eine vielleicht gegenteilige Ansicht aufzugeben.Etwas zu akzeptieren, das man sich nicht vorgestellt hat: das ist die Kunst der Erfindung. Sie besteht nicht so sehr darin, etwas aus Tatsachen zusammenzustellen. Sondern zu einem wesentlichen Teil darin, Tatsachen, die man nicht zusammengestellt hat, Aufmerksamkeit zu schenken.
» NZZ Folio 05/92 - Thema: Experimente. «Ich spiele gern . . .» Heinrich Rohrer Physik-Nobelpreisträger im Gespräch. Von Peter Haffner

Ich bin ja durch diese Kommentare auf dem besten Wege, die Toleranz gegenüber meinen eigenen Werken zu entwickeln, die mir bisher gefehlt hat. Dabei bin ich doch gerade angetreten, mich dem Neuen zu öffnen, das durch die Malerei als Methode zum Vorschein kommen sollte. Und dann werde ich schwach und distanziere mich von dem, was kommt - nicht sehr überzeugend, oder?

Andererseits ist dieses Qualitätsgefühl, von dem » Robert Pirsig in » Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten spricht, der Kompass, der anzeigt, ob etwas gut ist und mehr verspricht oder eben nicht. Man muss wohl beides tun: Akzeptieren und werten.

Tja, wie es so geht, stolpere ich über noch einen Physiker (der mit dem anderen das » Rastertunnelmikroskop entwickelt hat, wofür beide den Nobelpreis bekamen):

Drillingsraum: Ich will kreativer werden. Was muss ich tun?

Dr. Gerd Binnig: Das ist eine gute Frage. Man muss die eigene Phantasie zulassen. Das sagt sich sehr leicht, aber ich glaube, das ist gar nicht so einfach. Denn wenn man sie zulässt, sagt einem die innere Zensur: Das ist ein verrückter Gedanke, der ist schon fast unanständig. Diese Strenge mit den eigenen Ideen muss man ausschalten. Man muss zulassen, dass man einen ziemlichen Blödsinn produziert. Mit diesem Müll zurechtzukommen, den man bei einem kreativen Prozess erzeugt, das ist ein wesentlicher Schritt denke ich. Und man muss ihn sich verzeihen können.
» Ein Drillingsraum-Interview, 18. August 2010. Von Marc Gänsler

Genau. Ich würde sogar sagen: Ob das Müll oder Blödsinn ist oder nicht, muss sich erst noch herausstellen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine späteren Arbeiten gar nicht das wahre Ding sind, sondern eher die frühen. Vielleicht schreibe ich auch deshalb diese Reflexionen, um mir darüber Klarheit zu verschaffen.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007
 
 
Rahmen wie hier gezeigt können bei » Kunstkopie, » artoko und anderswo erworben werden.

 





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