180 cm - 71 inch
Werkgröße 95×123cm
Referenzfigur 180cm
Werkdaten Nr. 110
Öl / Hartfaser
16.02.1974, » 95×123 cm (37×48")
Rückseite von » 105

» Kommentar

Blättern:
links / rechts wischen
die Tasten ← / → nutzen
auf Pfeil links / rechts klicken

Kommentar
© Copyright Werner Popken. Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA


Die erste Rückseite einer großen Hartfaserplatte. Eine Landschaft im Gebirge, ein Nur-Dach-Haus, eine rauchender Schornstein, ein entlaubter Baum, ein Pfad über den Pass, ein barocker Mensch auf einer Anhöhe, der das Bild betritt, ausgestattet mit einem gewendelten Spazierstock, Mantel und Schnallenschuhen.

Das Haus hat eine Tür, im Fenster scheint ein Licht zu brennen. Der Mann blickt mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf etwas, das nicht das Haus sein kann, sondern sich außerhalb des Bildes befinden muss, vielleicht noch jenseits des Hauses.

Ach du lieber! Als Illustration für ein Kinderbuch wäre dieses Bild der vielleicht verständlich, aber so? *

Doch halt - habe ich nicht in den vergangenen Tagen etwas gelernt? Nicht vorschnell zu urteilen, sondern dem Bild erst einmal eine Chance zu geben? Zwar habe ich stets, wenn ich meine Bilder gezeigt habe, deutlich gemacht, dass ich gewissermaßen nichts dafür kann, nicht dafür verantwortlich bin, mich von ihnen distanziere, und das war vielleicht auch nicht ganz verkehrt, aber ich fürchte, ich habe die Konsequenzen nicht vollständig gezogen. Wenn ich mich schon innerlich von dem Bild absetze, dann sollte ich es auch unvoreingenommen betrachten und gelten lassen.

Ein Bild ist erst einmal ein Bild, ein objektiv existierender Gegenstand, der in vielfältiger Weise interpretierbar ist. Man kann ihn für entbehrlich halten, für überflüssig, für ärgerlich, für was auch immer, aber er ist in der Welt und kann als solcher völlig unabhängig vom Schöpfer wirken. Ist das nicht oft genug passiert? Wie lange hat beispielsweise das heute so berühmte Bild des südfranzösischen Bordells » Les Demoiselles d'Avignon unbeachtet in der Ecke gestanden? Nun will ich natürlich keineswegs behaupten, dieses oder andere meiner Bilder hätten eine ähnliche Sprengkraft oder Qualität. Es geht mir lediglich darum, mich selbst zu disziplinieren und mich zu mehr Toleranz aufzurufen.


No. 1 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 109 63x53cm, 15.02.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 1 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 109 63x53cm, 15.02.1974
 


Na ja, auf dem Weg bin ich ja ganz gut vorangekommen. Zunächst habe ich das Bild nicht vernichtet und brav mit mir herumgeschleppt, all die Jahre, und nun hänge ich es auf und mache mir meine Gedanken darüber.

Als erstes werde ich 109 durch ein anderes Bild ersetzen. Mal sehen, was passen könnte.


No. 2 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 102 84x65cm, 01.02.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 2 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 102 84x65cm, 01.02.1974
 


Interessant! Diese Anpaarung tut beiden Partnern gut.

Und was erzählt das Bild? Dieses Bild erzählt sehr viel. Da ist ein erwachsener, nicht ganz junger Mann auf Wanderschaft. Vermutlich ist er auf der Suche nach sich selbst. Er ist so groß, dass er gerade noch ins Bild hineinpasst. Und er steht mitten in der Welt, in einer einsamen, von Lebewesen verlassenen Märchenlandschaft aus Hügeln und Bergen, und findet dort ein Zeichen der Zivilisation: Ein Haus, und es brennt sogar ein Feuer. Es muss also jemand daheim sein oder jedenfalls nicht weit weg.

Insofern erinnert die Geschichte an Hänsel und Gretel, die ja auch verloren waren in der Welt und sich verirrt hatten im dunklen Wald und plötzlich das Häuschen der Hexe entdeckten. Was wird den Mann dort erwarten? Märchen sollen ja eine Botschaft haben. Welche Botschaft hat das Märchen von » Hänsel und Gretel?

Wie zu erwarten, fußt die einzige Erklärung auf » Jungs spekulativer » Analytischer Psychologie und bemüht sogenannte » Archetypen, in diesem Fall die Hexe als böse, zerstörende, verschlingende Mutter. Die Charakterisierung des Mannes als nichtmoderner Mensch unterstützt immerhin die Hypothese, es müsse sich hier um symbolisches Material handeln, obwohl das Haus durchaus in der Jetztzeit angesiedelt sein könnte.

Ich stelle mir nun vor, dass ein solcher einsam durch die Welt wandernder Bursche einerseits erfreut sein müsste, Seinesgleichen zu finden, andererseits aber auch wiederum erschreckt, da er seiner selbst gewählten Einsamkeit verlustig ginge, würde er an die Tür klopfen. Außerdem weiß er natürlich nicht, was ihn erwartet. Wird der hier einsam Hausende erfreut sein, Besuch zu bekommen?

Auf mich bezogen hieße das: Bleibe ich schön für mich oder wage ich mich hinaus in die Welt? Ich fürchte, ich habe mich immer für Ersteres entschieden. Das würde jedenfalls das maßlose Erschrecken des Mannes erklären, das sonst einigermaßen unverständlich bleibt, denn die Lampe im Fenster müsste wohl als einladendes Zeichen gewertet werden.

In den vergangenen Tagen tobte der Meinungsstreit über die Behauptung des inzwischen zurückgetretenen Verteidigungsministers » Karl Theodor zu Guttenberg, er habe nicht „bewusst“ getäuscht. Wie kann man etwas tun, ohne sich dessen bewusst zu sein? In diesem Fall war es ja etwas Verwerfliches, aber diese Frage muss ich mir ja ebenfalls stellen. Und ich habe sie mir immer wieder gestellt: Ich habe diese Bilder gemalt, ich habe sie hervorgebracht, aber ich habe sie nicht eigentlich bewusst hergestellt, das heißt ich hatte - und das musste ich ja mühsam lernen, wie man anhand dieser Kommentare nachvollziehen kann - keine Absicht und keine Vorstellung und keine Idee und habe dennoch höchst konkrete Bilder produziert.

Wenn ich nun geometrische Abstraktionen oder abstraktes Geschmier machen würde, wäre das ja noch einigermaßen verständlich. Jeder Affe produziert irgendetwas, wenn man ihm Pinsel und Farben in die Hand drückt (siehe » Congo). Aber wie erklärt man sich die Produktion sinnvoller Bilder ohne Absicht? Ich vermute, Picasso hat über weite Strecken ebenfalls ohne Absicht gearbeitet; es gibt jedenfalls eine ganze Reihe von Zeugnissen dafür, dass er sich von seinen Bildern hat etwas erzählen lassen.

Hier stellen sich doch ganz wichtige Fragen über die Tätigkeit unseres Geistes oder unserer Seele, ausgedrückt durch unseren Körper. Ich fürchte, Biologen wie » Richard Dawkins, die sich ganz auf ihren Intellekt verlassen, haben dafür keine Erklärung. Und vermutlich haben sie dafür auch gar keinen Sinn.

Bei einem letzten Blick auf die vergrößerte Fassung fiel mir noch auf, dass das Gesicht dieses Mannes sehr merkwürdig gestaltet ist. Es sieht aus wie eine Maske, die er vor dem eigentlichen Gesicht trägt, vielleicht einfach nur aus Schlamm. Die Landschaft habe ich noch gar nicht gewürdigt. Der Weg führt ja deutlich genug über die Berge. Dahinter mag sich der Himmel wölben oder ein weiteres Gebirgsmassiv auftun. Die beiden Bergspitzen rechts könnten von Schnee überzogen sein oder aber auch ein weiterer Bergzug, der weit hinter dem ersten Berg liegt. Dieser scheint im unteren Bereich als Alm genutzt zu werden und im oberen Bereich mit Nadelgehölz bestanden zu sein.

Jetzt fällt mir auf, dass der Boden unterhalb des feinen Schuhs zu glühen scheint. Je länger ich auf dem Bild herumschaue, desto mehr gefällt es mir, aber richtig warm werde ich nicht. Vielleicht ist ja auch die Reproduktion schwach, vielleicht ist das Bild im Original viel besser? Könnte natürlich auch schlechter sein - wer weiß? Auf den Fall nehme ich mir jetzt die Freiheit zur Manipulation:


No. 3 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 102 84x65cm, 01.02.1974 · © Copyright Werner Popken. 
Alle Kunstwerke / all artwork © CC BY-SA
No. 3 » 110 95x123cm, 16.02.1974 » 102 84x65cm, 01.02.1974
 


Nicht schlecht, das Bild hat gewonnen. Ich habe nur an den Gamma-Werten gedreht und dadurch die Farbintensität verstärkt. Das bekommt dem Bild ganz gut - jedenfalls auf meinem Monitor bei dieser Beleuchtung.
*   Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007
 
 
Rahmen wie hier gezeigt können bei » Kunstkopie, » artoko und anderswo erworben werden.

 





server time used 0.0727 s