Das Bildchen ist mit Buchdruckerfarben auf Holz gemalt. Die Holztafel lag vermutlich irgendwo im Keller des Hauses herum, das meine Eltern 1956 gebaut hatten, die Druckfarben hatte mein Vater von der Arbeit mitgebracht. Er war Buchdrucker und druckte meistens in Schwarz, aber die Geschäftsbücher, die sein Arbeitgeber herstellte, benutzten manchmal bunte Farben zur besseren Orientierung, und deshalb fielen beim Linieren bunte Farbreste an - die Linierer bildeten eine eigene Berufsgruppe.
Das war also ein echtes Ölgemälde! Vermutlich war ich mächtig stolz, obwohl oder vielleicht gerade weil das Malen mit diesen extrem zähen Farben kein besonderes Vergnügen ist. An dieser Erinnerung meine ich zu erkennen, dass die Kunst in meiner Familie als etwas Besonders galt, insbesondere die Ölmalerei.
Natürlich hatte niemand in der Familie eine Ahnung von Ölmalerei oder Kunst allgemein, aber meine Mutter kaufte eines Tages spontan einem Vertreter an der Tür ein echtes Ölgemälde ab, eine Fließbandarbeit aus Holland, die modern tat und eine Waldlandschaft darstellte, mit dick und satt aufgetragener Ölfarbe, wie bei van Gogh, jedoch spätimpressionistisch angehaucht, absolut genialisch hingehauen, was sich vermutlich schon aus der Produktionsweise am Fließband ergeben hat. Dieses Bild wurde dann über dem Sofa im Wohnzimmer aufgehängt und war ein Zeichen dafür, dass man aus dem Gröbsten heraus war und sich Originalkunst leisten konnte. Da war ich höchstens 10 Jahre alt.
Merkwürdigerweise habe ich mich gefragt, warum so etwas gut und bedeutend ist - ich glaube nicht, dass mein Bruder sich solche Fragen stellte. Im Wohnzimmer hingen sonst noch drei Reproduktionen im Stil des Ludwig Thoma, dunkel erinnere ich mich an eine Alpenlandschaft. Demgegenüber nahm sich dieses Gemälde reichlich Freiheiten heraus. Ich staunte, wie frei man mit der Farbe umgehen konnte und dennoch realistische Effekte erzielte, die keine Zweifel über das Gegenständliche zuließen. Irgendwie dämmerte mir aber trotzdem, dass der Wert eines solchen Bildes sehr gering sein müsse. Ich wagte es freilich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen, sondern behielt meine Gefühle und Gedanken lieber für mich.
Der zigarrerauchende Bauer verweist einerseits auf meine Kindheit in einem kleinen niedersächsischen Dorf und meine Kinderspiele, in denen ich gerne in die Rolle eines Bauern geschlüpft bin; andererseits kann ich mich nicht erinnern, jemals einen Schnitter mit Zigarre gesehen zu haben. *
Im Alter von vielleicht fünf Jahren hatte ich allerdings ein traumatisches Erlebnis mit einer Zigarre. Wir Kinder spielten auf der Straße, ein Bauer arbeitete in seinem Gemüsegarten und hatte seine Zigarre am Gartenpfosten abgelegt. Die älteren forderten alle heraus, die Zigarre zu stehlen und daran zu ziehen. Ich war noch viel zu jung, um die Tragweite begreifen zu können, fühlte aber die Herausforderung und nahm sie an. Mein Vater rauchte Zigarette, auf Lunge natürlich, eine Angewohnheit, die er aus dem Krieg mitgebracht hatte, und so inhalierte ich - vielleicht wurde ich dazu auch angestiftet. Auf jeden Fall bekam ich einen schrecklichen Hustenanfall, der nicht wieder aufhören wollte.
Die anderen bekamen einen Schrecken, da der Bauer hätte aufmerksam werden und den Diebstahl entdecken können. Erst breitete sich Ratlosigkeit aus, dann schickten sie mich mit dem Rat nach Hause, tüchtig viel zu trinken. Ich schlich mich also in die Diele, wo die Schwengelpumpe stand, die das ganze Haus versorgte, und trank solange, bis der Husten aufhörte. Vielleicht musste aus diesem Grund die Zigarre ins Bild.
Es war natürlich nicht das erste Bild, das ich gemalt habe. Ich kann mich noch an das schöne Gefühl erinnern, das ich in der Vorschulzeit hatte, wenn ich zeichnete und malte, ohne Aufsicht und ohne Vorgaben, besonders an die vielen Pferde, die ich außerordentlich liebte. Ähnlich naiv ist dieses Bild entstanden. Die Haltung des rechten Arms ist völlig verunglückt, was entschuldbar scheint, da ich natürlich nicht nach der Natur gemalt habe und auch sonst kein Vorbild hatte, sondern mir die Haltung einfach nur vorstellte. Die Kopfform, besonders das Kinn, der Mund und die Augen sind eigentlich meinem Alter gar nicht mehr angemessen und zeigen, dass ich im Kunstunterricht rein gar nichts gelernt hatte, was freilich nicht mein Fehler war: Im Kunstunterricht konnte man nichts lernen, weil nichts vermittelt wurde.
Dieses Bild habe ich immer noch in meinem Besitz gehabt, als ich den Werkkatalog Anfang der Achtzigerjahre konzipierte. Es muss also wohl eine Bedeutung für mich gehabt haben. Irgendwann ist einmal etwas Heißes auf das Bild geraten, wohl ein Bügeleisen, so dass sich im Himmel rechts die Farbe gelöst hat. * Der vorstehende Kommentar ist die Anmerkung aus dem Werkkatalog » Stürenburg 2007